Goldene Ente 2016

 

Begrüßung und Würdigung

von Michael Kuderna, Vorsitzender der LPK Saar

 

Lieber Herr Hilberer,

lieber Herr Professor Backes,

liebe Preisträger vergangener Jahre,

liebe Gäste,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

 

bevor wir zum Kern des heutigen Abends kommen, möchte ich mich bedanken. In Zeiten, in denen vermeintliche Gewissheiten ins Rutschen kommen, tut es gut, wenn e auch ein paar Stabilitätsanker gibt. Diese Feier gehört für mich dazu. In einer manchmal hektischen Zeit bewahren wir uns eine kleine Harmonie-Oase. Wir feiern zusammen, publizistische Konkurrenz, Hierarchien, unterschiedliche Einschätzungen – all das trennt uns heute nicht. Und wir feiern mit Partnern, die uns punktuell oder über einen längeren Zeitraum beeindruckt haben, uns fair gegenüber getreten sind und uns geholfen haben, unseren Aufgaben als Vermittler von Informationen gerecht zu werden.

 

So bedanke ich mich zu allererst bei den früheren Preisträgern für ihr Kommen: Ikbal Berber, Frau Oberbürgermeisterin Charlotte Britz, Asgar Abbaszadeh, Hajo Hoffmann, Dr. Burkhard Jellonnek, Friedel Läpple, Jo Leinen, Hans-Otto Schade und Prof. Heinrich Schüssler -schön, dass Sie sich wieder Zeit für uns nehmen. Unsere letztjährige Preisträgerin, Simone Peter, lässt sich entschuldigen, da sie ausgerechnet heute Geburtstag feiert, und dafür verständlicherweise doch ihre Familie vorgezogen hat. Ausdrücklich entschuldigen sollen wir auch Herrn Altmaier, Herrn Asselborn, Olivier Kirsch und Herrn Leroy.

 

Willkommen heißen wir auch Herrn Karl-Friedrich Hodapp von der Handwerkskammer, deren Lehrwerkstatt weiter unsere Enten fabriziert, weiter Frau Dr. Andreas Jaeckel-Dobschat, Mitarbeiterin der Piraten-Fraktion und das Ehepaar Sonja und Thomas Brass, Freunde unseres heutigen Preisträgers. Wir freuen uns, dass wir mit Ody vam Bruok auch einen Dichter unter uns haben, doch dazu später am Abend mehr. Danken will ich schon jetzt denen, die uns nun schon traditionell begleiten, Jan Oestreich, Christoph Klein, Marius Klicke und Billy Trebing von JazzAttack. Und schließlich bedanke ich mich bei weiteren Garanten für das Wohlfühlen heute Abend, nämlich Gertrud Thiel und ihrem Restaurant-Team. Den Dank an Herrn Professor Backes spare ich mir noch für später auf.

 

Doch nun ein Blick zurück: 2012 zog eine junge Partei mit ebenso jungen Abgeordneten in den saarländischen Landtag ein. Und ein etwas älterer Journalist, der aber immerhin früher einmal über DJ-Culture promoviert und die Zeitschrift „Rolling Stone“ herausgegeben hatte, war entsetzt. „Die Piraten erobern die deutschen Parlamente mit der Geschwindigkeit eines Mausklicks. Hinter ihrer digitalen Fassade lauert aber Parlamentsverachtung“, kommentierte Ulf Porschardt in der „Welt“. Genauso zornig geht es in dem Artikel weiter: „Die aggressive Naivität der Piraten und ihre betonte Ferne zum Parteiensystem werden ebenso wie das laptoppige Zerzauseln auf Parteitagen und die Krawattenferne des Personals auf der linksidealistischen Seite verortet – dabei hat das Ressentiment der Piraten gegen das politische Establishment denselben Drall wie bei der amerikanische Tea Party.“

 

In seiner Vorab-Abrechnung stellte Porschardt, der schon Jahre zuvor im Establishment „eine permanent revolutionäre Konzeption“ entdeckt hatte, uns auch die fleischgewordene Inkarnation dieser ebenso ignoranten wie gefährlichen Kompetenzlosigkeit vor Augen. Zitat: „Selten ist die Verachtung für unser Parteiensystem mit einem derart unschuldig-modernen Antlitz aufgetreten wie bei der Piratenpartei.“ Und dann nennt er diesen gefährlichen Frontmann der „bekennenden Dilettanten“ beim Namen: „Michael Hilberer … der Mann mit den langen Haaren und dem dünnen Kinnbart“ und pubertär auftretender Förderer eines „Geek-Humors“, der „das verdruckste Kichern teigiger Außenseiter“ meine. Beim Lesen dachte ich mir: Mein Gott, was muss dieser Michael Hilberer dem sturmerprobten Journalisten, der es übrigens vor wenigen Wochen zum Welt-Chefredakteur gebracht hat, eine Angst eingejagt haben.

 

Vermutlich hat er aber eines richtig gespürt: Nachdem die Grünen die libertäre Praxis ihrer Gründungszeit abgestreift hatten, andererseits die Risse und Schattenseiten in unserer Wohlstandsgesellschaft immer sichtbarer wurden, war der Nährboden für neue, unverbrauchte – sprechen wir es ruhig aus – auch idealistische Politikentwürfe reif. Die Piraten mit Themen wie bedingungsloses Grundeinkommen, liberale Drogenpolitik, kostenfreien ÖPNV und als Kernmarke eine demokratische Gestaltung der fortschreitenden Digitalisierung einschließlich freier Netzzugang, Datensouveränität der Bürger und Transparenz der Politikprozesse – das traf das Lebensgefühl vieler junger Menschen. Einer davon war Michael Hilberer. Und von wegen „Grundgefühl der Abrechnung“, wie Porschardt es bei ihnen auszumachen glaubte. Sie wollten anpacken, Zukunftsvisionen entwickeln und diese dann pragmatisch ansteuern. Wenn die Partei dabei gescheitert ist, hat das sicher auch etwas mit Unerfahrenheit zu tun, mit zu langsamem Lernen und zu großen Versprechen, möglicherweise ja auch mit schwer zu vermittelnden Gegensätzen wie Datenreichtum für alle und Datenarmut für den Staat - und natürlich auch mit Personalquerelen und Egotrips.

 

Hilbereres Maxime, klare Ziele und flexibles Vorgehen zu vereinen, hat sich in der eigenen Partei letztlich nicht oder zu zögerlich durchgesetzt. Hinzu kommt: Die Konjunkturzyklen der Meinungsmacher werden immer kürzer. „Fehler vermeidet man, indem man Erfahrung sammelt. Erfahrung sammelt man, indem man Fehler macht“ – diese Einsicht von Laurence Peter – dem wohlbekannten Entdecker des Peter-Prinzips – lassen viele nur noch für sich selbst gelten, Politiker hingegen müssen oft ein gnadenloses Fehler-Bashing über sich ergehen lassen.

 

Immerhin: Das Talent unseres Preisträgers ist unbestritten. Und im Gegensatz zu manch anderen schnell verbrauchten Senkrechtstartern wirken Sie, Herr Hilberer, auch nicht müde oder verbittert. Genau an diesem Punkt setzt die Begründung ein, die uns zu Ihrer Wahl als Entenpreisträgers geführt hat: schon seit zwei Jahren ist es jedem politisch Interessierten klar, dass das kurze Intermezzo der Piraten im saarländischen Landtag schon nach einer Legislaturperiode wieder zu Ende geht. Andere hätten sich vielleicht den Rest der Zeit über das ja doch üppige Gehalt eines Fraktionsvorsitzenden gefreut und ihr Arbeitspensum auf ein Minimum heruntergesetzt. Wieder andere hätten vielleicht noch rechtzeitig den Absprung gemacht und versucht, ihre politische Karriere nahtlos bei einer anderen Partei fortzusetzen. Nichts dergleichen bei Ihnen. Sie nehmen ihre Tätigkeit weiterhin ernst, bringen Initiativen ein, werben mit unverkrampfter Freundlich- und Fröhlichkeit für Ihre Überzeugungen und haben deutlich gemacht, dass Sie das Mandat Ihrer Wählerinnen und Wähler nicht zum eigenen Vorteil als Morgengabe woanders hin mitnehmen. Diese Haltung ist vorbildhaft und verdient hohen Respekt.

 

Eigentlich ist die Ente ja insoweit auch ein klein wenig Entschädigung für den medialen Missgriff des eingangs zitierten Kollegen. Von wegen „Parlamentsverachtung“ - würden alle Abgeordneten ihre Pflichten so ernst nehmen wie Sie, wäre der Protest gegen das Polit-Establishment leichter zu widerlegen.

 

Ein ganz anderer Aspekt, unabhängig vom politischen Standort: Ein bisschen schade ist es schon, dass das Ausscheiden von Ihnen und Ihrer Fraktion das Durchschnittsalter des Parlaments vermutlich deutlich nach oben verändern wird, vor allem, wenn man an die Partei denkt, die im nächsten Jahr wohl neu in den Landtag kommen wird.

 

An dieser Stelle komme ich nicht darum herum, wenigstens ganz kurz etwas zu den politischen Entwicklungen zu sagen, die uns dieses Jahr so sehr beschäftigt haben. Die Stichworte sind bekannt: Weltweite Zunahme populistischer Bewegungen, große Verunsicherung nach Brexit und der Präsidentenwahl in den USA, bei uns das anhaltende Tauziehen in der Flüchtlingspolitik, eine offensichtliche Glaubwürdigkeitskrise der Politik, aber auch der Medien, und das alles auf der Folie drängender innenpolitischer Bedrohungen wie Altersarmut, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, bröckelnder Mittelstand und Abstiegsängste auch angesichts zunehmender Automatisierung. Zu Recht oder Unrecht – wir haben es mit einer verunsicherten Gesellschaft zu tun. Und auch hier sind Sie, Herr Hilberer, ein Gegenentwurf. In allen Interviews, die ich kenne, haben sie sich als Optimist zu erkennen gegeben. Wo andere nur Risiken sehen, betonen Sie die Chancen. Wo andere nur noch defensiv argumentieren, streiten Sie für gesellschaftliche Vielfalt, individuelle Freiräume und die Entkoppelung des Wertes der Menschen von Lohnarbeit. Und Sie gehören zu den Parlamentariern, die an die Kraft der Argumente glauben. Wir alle sollten hoffen, dass dieses Grundvertrauen tastsächlich der Realität Stand hält.

 

Um Sie persönlich ist uns nicht bange. Wer drei Berufsabschlüsse sein eigen nennt (Industriekaufmann, Diplom-Informatik und den Master in Informatik), mit vier Kindern einen beachtlichen Beitrag zur Zukunftssicherung unserer Gesellschaft leistet, wer mit 37 Jahren auf seine Visitenkarte schon „Abgeordneter a.D.“ schreiben kann, bei dem sind wir sicher, dass die Abschiedsworte von Ulli Hoeneß vor gut zweieinhalb Jahren auch für Sie gelten: „Das war’s noch nicht.“ Egal, wohin Sie Ihr Lebensweg noch führen wird - eine Pflichtveranstaltung können Sie sich ab sofort jedes Jahr in den Kalender eintragen: Die Feier zur Verleihung der Goldenen Ente.

 

Herzlichen Glückwunsch und Ihnen eine gute Zukunft!