Laudatio

von Bundesminister

Peter Altmaier

 

[Dieser Text beruht auf einem Mitschnitt der frei gehaltenen Rede Er wurde zur besseren Lesbarkeit von der LPK leicht gekürzt und behutsam redigiert]


Lieber Jean Asselborn, diese „Goldene Ente“ hat es in sich. Sie ist aus massivem Messing. Das erste Regal, wo ich sie drauf gestellt habe, musste ich entsorgen. Ich habe dann die Decke mit etwas Stahlbeton verstärkt, und jetzt hat sie den Platz, der ihr geziemt. In schlechten Zeiten kann man sie zum Altwarenhändler bringen und bekommt dafür noch richtig gutes Geld. Wäre aber schade um den Preis.


Ich habe mir sehr ernsthaft die Frage gestellt, ob ich überhaupt diese Laudatio annehmen darf. Immerhin, lieber Jean, du bist Außenminister und ich bin nur Kanzleramts-Minister. Der Kanzleramts-Minister kommt in der Rangfolge der Ministerien in Deutschland protokollarisch auf Rang 16, das ist der letzte Platz; da kann man sehen: Es ist mit Sicherheit nicht der wichtigste Minister. Aber ich kann eines garantieren – ich bin in dieser Bundesregierung der gewichtigste Minister. Siegmar Gabriel kann sich anstrengen wie er will, ich halte ihn auf Abstand und werde diesen Platz verteidigen.


Der zweite Punkt: Du bist Luxemburger und ich bin nur Deutscher. Luxemburg ist eine Großmacht. Deutschland weiß gar nicht, was es so genau ist. Luxemburg hat schon dreimal den Kommissionspräsidenten gestellt, Deutschland erst einmal. Luxemburg war gerade wieder ständiges Mitglied im Weltsicherheitsrat und ihr macht das so nebenbei, neben eurer lokalen und regionalen und europäischen Politik. Du fliegst ab und zu nach New York, regelst dort die Dinge, sorgst dafür, dass die Großmächte kein Veto einlegen und dann bist du abends hier und wirst geehrt. Wenn wir Deutsche nicht-ständiges Mitglied im Weltsicherheitsrat sein dürfen, ist unsere Diplomatie ein Jahr lang mit nichts anderem beschäftigt und hinterher sind alle urlaubsreif. Also auch das habt ihr uns voraus.


So hätte ich die Laudatio eigentlich nicht annehmen dürfen. Aber glücklicherweise bin ich ja nicht nur Deutscher, sondern ich bin auch Saarländer. Und da finde ich schon, dass wir beide große Länder zusammen halten müssen. Und wenn das Saarland auch noch nicht im Weltsicherheitsrat vertreten ist und noch keinen Präsidenten der Europäischen Kommission stellen darf, dann kann ich sagen, wir haben zumindest drei welthistorisch bedeutende Persönlichkeiten hervorgebracht -was ihr gar nicht wisst in Luxemburg, weil ihr als großes Land euch um die kleinen Nachbarn natürlich nicht so intensiv kümmern könnt. Der erste war in der französischen Zeit Le Marechal Michel Ney aus Saarlouis. Der war Generalstabs-Chef von Napoleon und hat durch falsche Befehle die französische Armee in Waterloo ruiniert. Der zweite aus dem kleinen Dörfchen Wiebelskirchen war Erich Honecker, der hat den Kommunismus und die DDR ruiniert, und der Dritte aus meinem Wahlkreis, aus Pachten,  ist Oskar Lafontaine; daran laboriert die SPD bis heute. Du kannst sehen, wir sind zwar ein kleines Land, das kleinste Flächenland in Deutschland, aber wir haben den Lauf der Weltgeschichte schon entscheidend geprägt.


Und der dritte Punkt, der mir sozusagen auch noch mal auf der Seele gelegen hat, war: Es ist manchmal in den Zeitungen zu lesen, du würdest uns Deutsche so gerne kritisieren. Und da muss ich allerdings sagen: Wir hatten mal einen Finanzminister, der wollte nicht nur die Kavallerie in unsere lieben Nachbarländer Schweiz und Luxemburg schicken, der hat die auch noch mit Vagadugo verglichen und konnte trotzdem noch Kanzlerkandidat einer alt ehrwürdigen Partei werden. Deshalb: Ein Luxemburger Außenminister darf alles sagen, auch und gerade über Deutschland, und deshalb habe ich die Einladung sehr gerne angenommen.


Ich finde, du hast diese Ehrung verdient, nicht nur, weil du der populärste Politiker in Luxemburg bist und dies nicht nur, weil du gute Beziehungen ins Saarland hast, sondern einfach, weil du es geschafft hast, Luxemburg eine Stimme zu geben in der Europäischen Union. Ich rede gar nicht einmal vom Weltsicherheitsrat; das können wir einmal bei anderer Gelegenheit feiern, wenn du einen Nobelpreis bekommst oder etwas Ähnliches. Aber der Umstand, dass Luxemburg in diesen letzten zehn Jahren nicht nur einen Vertreter im Außenministerrat hat, sondern einen, der gehört wird, ist für die Europäische Union von großer Bedeutung. Denn die Europäische Union hat überhaupt nur eine Chance, wenn sie eine öffentliche Debatte zustande bringt.


Ich habe dann einmal geschaut, was denn die großen Vorwürfe sind, die dir zur Last gelegt werden und ich habe wirklich nichts Schlimmes finden können. Zum Beispiel – ich will kein Deutschland haben, vor dem man Angst haben muss. Das ist ganz einfach zu erklären: Es ist eine Frage der Perspektive. Das hat man schon gesehen bei Gullivers Märchen. Dort ist es so, wenn der Kleine sich anstrengt und noch so wütend ist, kriegt es der Große manchmal gar nicht mit. Und wenn der Große nur einmal tief ausatmet, um sich zu räuspern, dann gibt es um ihn herum schon Erdbeben, die alle anderen in Mitleidenschaft ziehen. Deshalb ist es ganz wichtig, dass wir das, was Helmut Kohl schon begründet hat, und was Angela Merkel uns jede Woche mindestens einmal ins Stammbuch schreibt, dass wir das auch in der öffentlichen Debatte beherzigen, nämlich dass diese Europäische Union aus großen und kleinen Ländern gleichermaßen besteht und dass das gut so ist. Und dass es wichtig ist, dass Luxemburg diese Rolle spielt; denn viele von den kleinen Mitgliedsstaaten, vor allem aus Osteuropa, die erst zehn Jahre in dieser Europäischen Union sind,  haben manchmal nicht den Mut zu widersprechen, wenn die großen Mächte wie Frankreich, Großbritannien, Deutschland  etwas sagen. Sie überlegen es sich dreimal, ob sie etwas sagen sollen. Die Luxemburger überlegen noch nicht einmal sondern sagen das, was sie für richtig halten, und ich finde, das ist für die Europäische Union gut.


Der zweite Punkt: Du hast immer wieder gemahnt, wir sollten nicht nur auf unsere Interessen schauen - da sind wir natürlich die einzigen, die das tun in der Europäischen Union. Aber in Wirklichkeit ist es so, dass sich tatsächlich etwas verändert hat in den letzten 20 Jahren, nämlich dass das nationale Interesse immer mehr als selbstverständlich wahrgenommen worden ist.


Früher nach dem Krieg, als unsere Länder zerstört waren, und als wir erlebt haben, wohin ein ungezügelter Nationalismus führt, da haben wir gewusst, dass wir nur gemeinsam aus dieser Misere herauskommen, und dass das europäische Interesse mehr ist als das addierte Interesse von 27 oder damals sechs Einzelstaaten. Das ist heute viel, viel schwieriger. Man erwartet ganz selbstverständlich, dass der Kommissar die Interessen des eigenen Landes vertritt. Eigentlich müsste er das eigene Land viel stärker unter Kontrolle halten, also werden wir mal sehen, was Jean-Claude jetzt macht. Wir erwarten ganz selbstverständlich, dass die Netto-Zahlungen nicht allzu sehr in die Höhe gehen. Wir schauen, dass es genügend Mittel-Rückflüsse gibt, und das eben nicht in nur Deutschland, sondern auch in anderen Ländern. In meiner Zeit als junger EU-Beamter saß noch ein älterer Kollege neben mir, der das seit 30 Jahren erlebt hatte. Als wir dann diskutiert haben über ganz wichtige Vorschläge für die Grenzgänger, für die Saisonarbeiter, für die Gastarbeiter, für die Familien, die anderswo leben, da war es fast unmöglich etwas zu erreichen, wenn auch nur ein Land das Gefühl hatte, dass es am Ende 100.000 DM oder Francs oder Lire weniger hätte, wenn die neue Verordnung in Kraft tritt. Wir haben immer gesagt, wir haben keine Schulden-Union, wir haben immer gesagt, wir müssen dafür sorgen, dass die Wettbewerbsfähigkeit wieder hergestellt wird - das ist auch richtig. Wir haben aber in dieser Zeit auch Rettungsschirme konstruiert mit gegenseitigen Haftungsverpflichtungen, die Milliarden von Euro umfassen und die wir ganz selbstverständlich und mit breiter Mehrheit im deutschen Bundestag beschlossen haben. Deshalb glaube ich, dass wir, wenn wir diskutieren, wenn wir uns gegenseitig nichts schenken, wenn du so bleibst wie du bist, eine gute Chance haben, die Herausforderungen der nächsten Zeit zu bewältigen.


Jean-Claude Juncker ist der Kommissionspräsident, der am besten auf sein Amt vorbereitet ist von allen Kommissionspräsidenten bisher.  Es gibt kein Geheimnis aus dem Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs aus den letzten 20 Jahren, das er nicht kennt. Es gibt keinen Kompromiss, den er nicht selbst geschmiedet hat. Es gibt keinen Vorschlag, den er nicht vorangebracht hat. Herr Tusk aus Polen als neuer Ratspräsident ist derjenige, der das größte außenpolitische Profil hat, das jemals ein Ratsvorsitzender in die Waagschale werfen konnte, auch mehr als alle Kommissionspräsidenten. Und das Europäische Parlament, in dem es nur noch zwei Saarländer gibt, wie ich eben mit Schrecken festgestellt habe, hat ein neues Selbstbewusstsein gefunden, es hat sich verbündet mit der Kommission. Das sehe ich als nationaler Kanzleramtsminister manchmal mit Sorge, als Europäer, der ich bin, sehe ich es aber mit großer Freude, weil ich glaube, dass wir so auch die Demokratisierung in Europa voranbringen können.


Alles in allem, ich möchte ihnen allen gratulieren, dass Sie einen so tollen Preisträger ausgewählt haben. Passen sie, lieber Jean Asselborn, weiter auf das Saarland auf, passen Sie ein bisschen auch auf Deutschland auf, und ich werde Angela Merkel sagen, dass wir einen wahren Freund haben, der, wenn es wirklich dicke kommt, verlässlich an unserer Seite steht - denn wir sind alle Europäer und wir werden gemeinsam diese Krise lösen. Ganz herzlichen Dank und herzlichen Glückwunsch!