Antwort von Professor Leonardy

Die goldene Ente

Mit 18 Jahren erarbeitete ich mir eine erste Ente. Ich wurde damals nach einem öffentlich ausgeschriebenen Wettbewerb als Chefdirigent des Scheidter Männerchores auserkoren. Und dieses Honorar erlaubte mir den Kauf eines kleinen Autos, nämlich eines 2 CV, der sog. Kult-Ente. Ich verlor sie nach 14 Tagen wieder durch einen Unfall, lernte aber nach diesem Unfall meine Frau erst richtig kennen, bekam also keine goldene Ente, aber eine goldige Frau.

Die Ente war nie ein schnelles Geschoss, nie ein Blender, man musste sich langsam seinen Erfolg verdienen, man musste sich den Berg hinauf beten, 12 PS waren damals keine Bewegungsschleuder und doch war man endlich mal am Ziel – das Ergebnis war eigenhändig und geduldig erarbeitet und deshalb auch besonders wertvoll.

So sehe ich auch diese goldene Ente heute Abend als ein Lohn immerwährender Herausforderungen kontinuierlicher Verbesserungen, seriöser Arbeit für beinahe zwei Jahrzehnte. Man sollte darauf einen Dujardin nehmen oder einen Canard, also ein Stück Zucker mir Branntwein, wie man dies in Frankreich tut, um sich wohl zu fühlen und sich etwas Gutes anzutun. Eine Negativbesetzung des Wortes Canard ist in Frankreich ein falscher Ton auf der Posaune oder der Tuba aber diese Misstöne lassen wir heute Abend vor der Tür.

Ich habe mein Leben der Musik geweiht, weil ich nie etwas anderes als Musik hörte und meine Begabungen auf diesem Gebiet scheinbar höher eingeschätzt wurden als alle meine sonstigen Beweise irgendwelcher Intelligenz. Mein Vater war Bergmann, nicht einmal Steiger, geschweige denn Obersteiger, aber er konnte sehr schön singen, er hatte einen herrlichen Tenor, er konnte aber auch die 2. Stimme oder die 3. oder den Bass singen, je nachdem was fehlte. Er war also, wie man so schön sagt, hoch musikalisch, kein Wunder bei den Vorfahren, die als Bildhauer aus Italien kommend, sich immer schon mit der Orgel und dem Komponieren und der Pädagogik ihren Unterhalt verdienten.

Ich aber hatte ihm gegenüber einen für ihn unfasslichen Vorteil, nämlich das absolute Gehör. Jede Kuh und jeden Zug konnte ich mit fis oder f kennzeichnen und festnageln und die Nachprüfung mit seinen dicken Fingern auf seiner Laute war für mich immer ein Volltreffer. Trotzdem spielte ich lieber Fußball, zwar etwas ängstlich und vorsichtig aber schnell, und die virtuosen Füße der Fußballer waren für mich immer ein Pendant zu den virtuosen Fingern der Pianisten.

Meinen ersten Klavierunterricht erhielt ich im Alter von 12 Jahren, wo andere bereits als Wunderkinder überall in der Welt Triumphe feierten, Noten konnte ich nie besonders gut lesen, deshalb hörte ich meinem älteren schlaueren Bruder 2 Tage zu, um dann zur allgemeinen Verblüffung am Ende doch besser zu spielen als er.

Klavierschulen, Tonleitern und technische Übungen habe ich gehasst und während dieser Übungen alle Carl May-Bände fast auswendig gelesen. Mein erstes heimlich selbst erarbeitetes Stück auf dem Klavier waren die Liebesträume von Franz Liszt, und mein pädagogisch pedantischer Lehrer in Saarlouis war entsetzt über so viel Unvernunft, und so kam ich mit 15 Jahren als hoffnungsloser Fall, als jüngstes Kind und Muttersöhnchen, und weil meine Eltern keine andere Perspektive für mich sahen, an das Konservatorium für Musik im Kohlweg in Saarbrücken, wo ich 4 Wochen lang bei meinem Lehrer Fritz Griem mit sehr hohen Fingern arbeiten musste um die Kraft und Geschwindigkeit des Falls der Finger zu erhöhen, diesmal ohne Carl May aber mit großem Interesse.

12 Gebetbücher aus dem katholischen Haus Leonardy über die Innentasten verteilt, gaben zusätzliche Kraftimpulse, wie man das von dem berühmten Bleiwesten-Effekt aus der Leichtathletik kennt. Danach spielte ich einige Monate später Griegs Klavierkonzert und wenig später Tschaikowsky Klavierkonzert mit Philipp Wüst als Dirigent sogar öffentlich im Staatstheater.

Die Konzerte von Dr. Rudolf Michl, die sog. Jugendkonzerte in der Wartburg und der Film „Der Weg zum Ruhm“ mit Roberto Benzi wiesen mir damals mit meiner eigenen unerschütterlichen Selbstsicherheit den Weg. Übrigens „Wartburg“: auch dieses Gebäude sollte bei der Findung eines Konzertsaales vielleicht einmal einer Diskussion würdig sein. Wir haben nicht viele solcher Historien, die wir wieder beleben könnten.

Nach Studien in Frankfurt und Paris erhielt ich eine Dozentur in Köln, um dann mit 28 Jahren eine volle Professur in Saarbrücken zu erhalten. Meine ersten drei Studenten waren Schulmusiker, die bis zu ihrem Abitur ruderten und Gewichte stemmten, also nicht mehr sehr flexible Sehnen hatten. Nach meinem Spezialtraining, für sie angeordnet, diesmal nicht mit Gebetbüchern, sondern mit Spezialübungen à la Leonardy kamen alle drei nach einer Woche mit einem Gipsarm: Sehnenscheidenentzündung. Dieses war mein erstes pädagogisches Beweisstück meiner Tüchtigkeit und Überzeugungskraft. Beruhigend darf ich anführen, dass ich später all dies besser zu differenzieren wusste.

Ich danke gerade deshalb heute noch den beiden damaligen Direktoren Herbert Schmolzi und Dieter Loskant für ihren Vertrauensvorschuss in meine Person.

Pädagogik und Konzerte beherrschten anschließend mein Leben, während unsere Familie mit Bernhard und Eva größer wurde. Musikalisch waren wir alle, meine Frau spielte auch Klavier, malte aber besser, Bernhard spielte Orgel, Eva Geige und später Gesang, wir waren laut und untereinander Konkurrenten, aber privat eine Einheit und eine verschworene Gemeinschaft.

Justus Frantz und seine Erfolge im Schleswig-Holstein Festival beflügelten mich und beschäftigte mich außerordentlich. Ich kannte ihn als Kollegen sehr gut; ich hatte ihn sogar öfters in Wettbewerben erlebt, weshalb jetzt nicht auch ein Sieg mit einem eigenen Festival?

Mein erster Sponsor, den ich besuchte und versuchte zu überzeugen war ein Banker. Es wurde ein Reinfall. Meine Strategie musste also noch verbessert und verfeinert werden, die Argumente schlagender werden, die Gegenleistungen besser gewürdigt werden.

Sie dürfen nicht vergessen, 1989 war Sponsoring sehr selten und fast ein wenig unseriös. Wer das brauchte, war suspekt und hatte es nötig. Der Staat inszenierte die anständigen wichtigen Institutionen, aber die Zeit hat sich gewandelt und Merchandising und Fundraising sind unentbehrliche Helfer geworden in einer Zeit, wo selbst mein ehemaliger Scheidter Männerchor für die „Brotkuchekerb“ nicht mehr ohne Sponsoring auskommen kann.

Meinen ersten Sponsorerfolg landete ich bei DSD in Dillingen. Herr Welsch selbst, damals ein Aushängeschild der saarländischen Weltwirtschaft, hört mir sehr aufmerksam zu, sagt dann: „Ich gebe Ihnen 400 DM „ Nach meinem Erstaunen über den kleinen Betrag meinte er: „Sie haben recht, also gebe ich Ihnen 500.- DM“.

So wuchs das öffentliche Verständnis für das Festival immer stärker, die Sponsorenbeiträge wurden größer und schließlich daraus ein 1,5 Mio Etat mit 5 Angestellten und Büro und Buchhaltung.

War diese Geburt notwendig? War denn vorher das Saarland eine kulturelle Wüste? Waren das Staatstheater oder der SR oder die Hochschule oder die Uni nicht schon damals Leuchttürme?

Es gab zwei Orchester, die sich nicht weh taten, keine Konkurrenz von außen, niemals hätte eines dieser Orchester ein fremdes Orchester eingeladen, kein Druck, kein Kampf, sondern ein In-sich-Ruhen in der Provinz.

Ich glaube aber auch, dass es früher wichtiger und notwendiger war, das Werk selbst zu interpretieren und zu hören, der Interpret selbst hatte noch die dienende Rolle, die Partitur zum Leben zu erwecken, der Komponist und das Werk waren die fokussierende Zentrale. Heute ist der Interpret zur Hauptfigur geworden, manchmal dadurch das Werk zweitrangig, dadurch ist ein enormer Starkult gewachsen, Anna Netrebko ist jetzt wichtiger als Puccini, und damit einhergehend ist zwangsweise eine Bewegung entstanden mit einer enormen Steigerung des Ausbildungspotentials der Interpreten und Instrumentalisten. Pisa pur in der Musik, Geigen, Klarinetten, Oboen, Trompeter- sonst sog. Tuttischweine - werden heute zu Solisten ausgebildet, haben insgesamt das Niveau gehoben und in diese Phase hinein postierten die Musikfestspiele Saar die Tschechische Philharmonie in Saarbrücken, damals und heute ein Spitzenorchester mit Weltniveau, ein Stöhnen ging durchs Land, welche Anstrengungen und Kräfte mussten wir noch investieren, um dieses Niveau zu erreichen.

Nun kommen alle 2 Jahre die Besten der Welt zu uns, um bei uns zu demonstrieren, was Weltniveau bedeutet, uns zu quälen, damit wir uns diesen Musikern stellen können. Üben wir mehr, resignieren wir oder kämpfen wir. Und genau diese Unruhe ist es, die vor dem Beginn der Musikfestspiele gefehlt hatte. Und dass heute das Niveau des Theaters und des DRP so enorm hoch ist, ist sicher nicht unser alleiniger Verdienst, aber sicher sind die Musikfestspiele eine eminent wichtige pädagogische Spritze gegen das Phlegma.

Wir sind der Stich, der Piekser, der aufrüttelt, der zur globalen Konkurrenz zwingt, und dadurch das Saarland Stufe um Stufe auf Weltniveau bringt. Schon allein diese Tatsache ist ein Beleg für die Notwendigkeit der Musikfestspiele und deren Existenz. Wir fördern darüber hinaus nicht nur Fremdobjekte sondern achten besonders auf die saarländische Kulturszene, und wir wollen auch die Wurzeln unseres Landes pflegen und vorstellen. Dass wir nebenbei das Image des Landes ständig verbessern, dass 20 % der Karten überregional angeboten und gekauft werden, und dass über die Umwegrentabilität zahlreiche Gelder und Ansehen ins Saarland zurückfließen, ist eine wunderbare Bereicherung und ein beginnender Wirtschaftsfaktor durch die Musikfestspiele.

Geopolitisch und sozial ist das Saarland wie viele Grenzländer in Europa eine Durchmischung von Nationen. Wir wünschen uns das Geld der Luxemburger, die Nonchalance der Franzosen und die Ordnung der Deutschen. Lafontaine und Honecker sind vielleicht die linkesten und bekanntesten Saarländer, aber Harig, Gulden, Johannes Kühn sind auch nicht zu verachten. Und viele interessante und wissbegierige Saarländer sorgen für angenehme Akzeptanz und Atmosphäre. Etwas bescheiden aber originell und offen, vorurteilsfrei und aufgeschlossen.

Der Saarländer, was kann er überhaupt, was andere nicht können? Nun, er kann als einer der wenigen das Wort CHANCE richtig aussprechen. Wenn Sie das von Beckenbauer gehört haben, werden Sie wissen, was ich meine.

Er kann einen Weißwein vom Rotwein nicht nur farblich unterscheiden, sondern tippt auf Riesling oder Margaux.

Er weiß auch, außer ein paar Rotariern, die nur einmal im Jahr ins Konzert gehen, dass bei einer Symphonie erst nach dem letzten Satz geklatscht wird, mag der 1. Satz noch so schmissig enden, er weiß sich zu beherrschen

Der Saarländer sagt: komm, ich geb einen aus, der Badener sagt: wir gehen einen trinken, der Saarländer kennt ein Hors-d’oeuvre und ein Amuse-gueule oder bouche kann eine Auster nicht nur essen, sondern auch öffnen.

Das Saarland ist das Tor zu Frankreich oder das Tor zu Deutschland, je nach dem von welcher Seite man kommt. Wir haben also eine große Verantwortung zu tragen.

Bei der überschaubaren Medienlandschaft im Saarland sind im kulturellen Bereich alle Akteure, auch wir, auf das Verständnis der Presse, Funk- und Fernsehvertreter einschließlich der Pressefotografen angewiesen. Die Musikfestspiele sind besonders bemüht, uns und das Saarland überregional verstärkt nach vorne zu rücken, wo wir anhand unseres Festivalprogramms das Saarland, seine Hightech-Szene, seine Konzertprogramme und seine Wirtschaftsprogramme in eindrucksvoller Weise für die Süddeutsche, die FAZ, den Tagesspiegel, die Zeit, das Handelsblatt, den Südkurier, Le Républicain Lorrain und den Trierischen Volksfreund usw. vorstellen.

Was man übrigens erreichen kann, wenn alle an einem Strang ziehen, hat der Saarländische Journalistenverband beim Al Gore Besuch eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Trotzdem eine pädagogische Anmerkung zur Optimierung: ich bin fast davon überzeugt, dass bei diesem Al Gore Besuch niemand den Gast auf die größten Amerika-Festpiele 2009 in Europa aufmerksam gemacht hat.

Die Musikkultur Amerikas 2009 wird ein beredetes Zeugnis über uns und Amerika abgeben mit Bob Dylan, Bobby Mc Ferrin, Jessy Norman, Kent Nagano und viel Pop, Jazz, Rock und Musical. Die amerikanische Kultur ist anders als die europäische Kultur gewachsen. An europäischen Höfen oder Kirchen wurde klerikale oder höfische Musik gefördert, die dann in Joh. Seb. Bach, Beethoven oder Mozart gipfelte, während in der amerikanischen Kultur der irische Auswanderer oder der südamerikanische Einfluss oder der Italiener, die Sklaven, Spanier oder Deutsche mehr die Musik des Volkes hervorgebracht haben, so dass man in Bob Dylan vielleicht den Mozart Amerikas sehen könnte.

Ist das Saarland nun durch die Luxemburger Philharmonie und das Metzer Arsenal abgehängt?
Brauchen wir eine neue Konzerthalle, um ebenbürtig zu sein?
Brauchen wir einen 4. Pavillon?
Eine neue Bibliothek, eine aufgestockte Musikhochschule, eine neue Eventhalle, eine neue Stadtmitte am Fluss, wo dann vorbei fahrende Touristen von dem schönen Saarbrücken nur noch die Röhre sehen und und und...

Langweilig wird es nicht werden, aber so lieben und leben wir halt im Saarland.


Vielen Dank für die ehrenvolle Auszeichnung und für Ihre Aufmerksamkeit.