Goldene Ente 2002

Laudatio von Hans Leyendecker

 

 

 

 

Lieber Herr Weyand, sehr geehrte Damen und Herren, wenn Journalisten einen Oberstaatsanwalt, zudem noch einen Pressestaatsanwalt ehren, sind ein paar Fragen fällig: Hat einer von beiden was falsch gemacht? Ist der Strafverfolger womöglich ein heimlicher Kumpan der "Tintenstrolche", wie der Wiener Großkritiker Karl Kraus die Pressebengels nannte, oder sind diese Journalisten obrigkeitsgläubig?

 

 

Beides wäre schlecht. Wir haben unterschiedliche Berufe, wir haben unterschiedliche Aufgaben. Daran muss immer wieder erinnert werden. Gemeinsam leben wir in einer steril aufgeregten Zeit. Es wird nimmermüde mit Klappermeldungen geklappert. Weil Klappern zum Geschäft gehört, ist heutzutage beispielsweise ein Anfangsverdacht einer Staatsanwaltschaft eine Spitzennachricht.

 

 

Zum Beispiel der Fall Möllemann: Ein Blatt meldete exklusiv, was viele wussten: Die Staatsanwaltschaft Münster plane, gegen den Freidemokraten ein Verfahren wegen Verdachts der Steuerhinterziehung einzuleiten. Das lief in den Abendnachrichten als Spitzenmeldung. Kurz darauf war ein anderes Blatt ganz vorn: Die Staatsanwaltschaft habe um Aufhebung der Immunität wegen des geplanten Strafverfahrens Möllemann gebeten. Erneut eine Spitzenmeldung. Dann war das Hauptstadtbüro eines Fernsehsenders am Zug. Weltexklusiv hatten die Kollegen erfahren, nun habe Möllemann wirklich das Aktenzeichen bekommen. Sensationshascherei und Exklusivitis diktieren oft das Tagesgeschäft. Jede Woche wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben, die Herde der Schweine wird immer größer. Es gibt Rattenrennen und es gibt Schweinerennen. Aber muss wirklich jede Woche eine neue Sau durchs Dorf getrieben werden?

 

 

Fortwährend und bis zur Besinnungslosigkeit wird enthüllt. Die Standardformel lautet, dass sich eine Geschichte ausweitet. Ständig weitet sich alles aus, bis es dann wieder platzt. Nur ein paar ketzerische Fragen: Ist es eine wirklich journalistische Leistung, eine Enthüllung sogar, wenn man vorab berichtet, was die Staatsanwaltschaft machen will? Kann der öffentlich gemachte Vorverdacht überhaupt gerechtfertigt werden? Wann schlägt öffentliche Berichterstattung in Vorverurteilung um? Mit der Nennung des Namens der Beschuldigten? Mit der Wiedergabe von Ermittlungsergebnissen? Medien bemühen sich aus unterschiedlichen Gründen um vertrauliche Informationen: Aus Sensationslust und weil der Konkurrenzdruck immer größer geworden ist.

 

 

Es gibt aber auch den Aufklärungs- und Kontrollwillen. Oberstaatsanwalt Weyand gilt als Spezialist im Bereich der Wirtschaftskriminalität. Diese Form der Kriminalität hat in den vergangenen Jahren zu einer beispiellosen Annäherung zwischen den Staatsanwälten und den Medien geführt. Die Strafverfolgungsbehörden, sonst eher mit wacher Aufmerksamkeit von den Medien beobachtet, sonst eher distanziert begleitet und kommentiert, können sich, was die Wirtschaftskriminalität angeht, nicht über mangelnde Unterstützung durch die Medien beklagen. Ärger ziehen sie sich nur zu, wenn man sie zur Jagd tragen muss oder wenn sie abwiegeln. Die Wirtschaftskriminalität in ihrer nationalen Bedeutung, und - wie durch Fälle wie Enron immer deutlicher wird - in ihrer internationalen Verflechtung und Organisation ist unstreitig eine kapitale Gefahr. Sie kann ein Kapitalverbrechen sein, das jedes andere Kapitalverbrechen übertrifft.

 

 

Ist also Herr Weyand ein Jäger und sind die Journalisten die Treiber? Ich habe Herrn Weyand vor einiger Zeit in einem Verfahren kennen gelernt, das bundesweit für Aufmerksamkeit sorgte. Es ging um den Fall des Lobbyisten Holzer und den Verdacht der Geldwäscherei.

 

 

Als Älterer von uns beiden (man kommt in das Alter, dass man das sagen darf) ist mir vielleicht eine Anmerkung erlaubt: Es hat mir gefallen, wie Herr Weyand sich in diesem Verfahren verhalten hat. Ruhig, sachlich und er ließ sich von niemandem vor den Karren spannen. Nicht von denen, die den ganz großen Skandal witterten. Nicht von denen, die nur beschwichtigen wollten. Angeblich traute sich vorher niemand an den Fall Holzer ran. In Genf hatte Generalstaatsanwalt Bernhard Bertossa Raketenböller ins Feuer gelegt. Er gab vor, einen Verdacht zutage gefördert zu haben und nun brauche es nur noch deutsche Ermittler, die den Sack zumachten. Das böse Wort von der Ermittlungsverweigerung ging um. Bertossa hatte, wie sich später herausstellte, stark übertrieben. Weyand brachte das Verfahren ruhig zu Ende und ließ sich von Seitenwinden nicht umblasen.

 

 

Auch ich habe mit dem Fall Bertossa, mit dem Fall Leuna (der mit dem Fall Holzer zusammenhing) meine Erfahrung als Journalist gemacht. Ich war Anfangs "middle of the road" in dieser Geschichte. Nicht ganz überzeugt von dem Korruptionsverdacht, aber hielt ihn in Ansätzen für beschreibenswert. Eines Tages bin ich davon weggegangen, habe in der Süddeutschen Zeitung eine Geschichte gemacht und dann noch eine Geschichte, dass vermutlich an der Geschichte nichts dran war. Und da habe ich eine ganz interessante Erkenntnis mitgebracht, nämlich die Erkenntnis, dass, wenn ein Journalist sich ein Stück von dem distanziert was er selbst gemacht hat, er in Problemzonen gerät. Die "Gemeinde" oder aufmerksame Leser sagten plötzlich: Was ist mit ihnen los? Warum versagen sie? Warum sind sie zahnlos geworden? Und andere, die die Berichterstattung immer kritisch verfolgt hatten, sagten: Was ist mit ihnen los? Warum kritisieren sie sich selbst nicht heftiger? Sie müssen sich doch entschuldigen für das, was sie gemacht haben. Das heißt, wenn ein Journalist bei dem bleibt was er anfangs gedacht hat, auch wenn er davon überzeugt ist, dass es so nicht richtig ist, ist er oft auf der sicheren Seite. Wenn er davon abgeht und ein Stück sich in die Welt wieder hinaus begibt und sagt, ich korrigiere mich, das was ich gesagt habe zu diesem Zeitpunkt, habe ich aus diesem und jenem Grund gesagt, aber es war so nicht richtig, dann läuft er Gefahr kritisiert zu werden.

 

 

Dass Sie Herrn Weyand mit der Goldenen Ente auszeichnen, das erscheint mir konsequent, folgerichtig und schön. Es ehrt nicht nur Herrn Weyand, es ehrt auch die Landespressekonferenz Saar, dass sie diesen Mann auszeichnet.

 

Er ist bundesweit ein ausgewiesener Fachmann in den Bereichen Steuerstrafrecht und Insolvenzdelikten, vor allem aber gehört zu jenen wenigen Staatsanwälten, die sich der Presse nicht entziehen. Saarländische Kollegen haben mir gesagt, er sei immer zu erreichen. Das ist schön.

 

Pressestaatsanwälte haben es nicht leicht. Sie müssen nebenher ihre Fälle weiter bearbeiten und werden oft von Kollegen misstrauisch beäugt.  Die Vorgesetzten im Justizministerium oder in den Generalstaatsanwaltschaften wissen nachher genau, was man vorher hätte machen müssen. Wenn Staatsanwälte von ihrem General sprechen, dann meinen sie nicht den Chef eines Wehbereichskommandos, sondern einen Generalstaatsanwalt der Weisungsbefugnis hat. Mir wurde gesagt, Herr Weyand, Sie seien so etwas wie eine christdemokratische Karteileiche.

 

Ich wünsche ihnen von Herzen, dass die Politik nicht versucht, sie in den Käfig zu sperren. Ich bin mir aber sicher, auch wenn kein Vertreter des Justizministeriums heute hier ist, dass sich die Justizministerin über die Auszeichnung ihres Strafverfolgers sehr freuen wird.

 

 

Die Strafverfolgungsbehörde begegnet uns manchmal als Hort der Ordnung, als letzte Bastion vor dem Weltuntergang. Aber es gab zumindest Regionen in der Republik, da waren auch manche gleicher als gleich. Über den Strafrechtsanspruch des Staates entschied dann die Postleitzahl. Zwischen diesen beiden Extremen pendeln wir schon eine ganze Weile. Für diese beiden Extreme stehen die Fälle Daum und ABB, aber es würde zu weit führen, wenn ich sie mit den Einzelheiten behelligen würde. Der Journalist darf kein rasender Verfolger sein, aber er darf auch nicht rasender Mitläufer sein. Er hat zu beobachten. Er hat seine Unabhängigkeit zu bewahren. Auch gegenüber dem Pressestaatsanwalt und dem Verteidiger.

 

 

Wenn ich Sie mit einem kleinen Einblick in mein Leben langweilen darf: Ich gelte seit ein paar Jahren als so genannter Enthüllungsjournalist. Je mehr ich mich gegen dieses Etikett wehrte, wurde es mir angepappt. Seit zwanzig Jahren beschäftige ich mich teilweise, vorzugsweise oder ganz mit der Abfolge von tatsächlichen oder angeblichen Skandalen. Oft in meinem Leben habe ich den Spruch gehört: Das ist keiner von uns. Mal angeblich Hilfsbeamter der Staatsanwaltschaft, mal angeblich Polizeireporter, mal angeblich Verteidigerknecht. Sprüche von Politikern, von Wirtschaftsführern, von Anwälten und Staatsanwälten. Ich will keiner von ihnen sein. Ich bin Journalist.

 

 

Der Anwalt Hans Dahs junior schrieb mal: "Der Umgang mit der Presse ist ebenso aufregend wie der Umgang mit schönen Frauen oder Pferden. Man muss aufpassen, dass sie nicht durchgehen". Ja, das stimmt, das gilt aber auch für den Umgang mit Staatsanwälten. Journalisten, sehr geehrter Herr Weyand, können ihre Kreise stören. Beispielsweise, wenn Sie den stillen Konsens in einem Verfahren suchen und Journalisten davon erfahren. Die "Absprache im Strafprozess" ist beispielsweise ein Dauerthema, es ist ein leidiges Thema. Wenn gedealt wird, ist der Paragraf 153 a nicht weit. Er soll die Chance zur Vereinfachung, Verkürzung und Entkriminalisierung bieten.

 

 

Doch einer der Vorkämpfer dieses 1975 in die Strafprozessordnung eingeführten Paragrafen, der frühere Stuttgarter Oberstaatsanwalt Werner Schmidt-Hieber, hat niederschmetternde Anmerkungen zu diesem Thema gemacht: "Was immer tieferes Unbehagen weckt, ist der unverhohlene Eigennutz, mit dem die Strafjustiz Verständigung betreibt. Droht ein Verfahren umfangreich, schwierig und belastend zu werden, dann spricht man sich ab." Kein Journalist könnte die Realität der Bewältigung durch Absprache, durch den Deal, besser beschreiben als der Mann, der einmal davon gesprochen hat, dass die Absprache "die Domäne in der Wirtschaftskriminalität ist".

 

 

Ist der Verteidiger "konfliktbereit, beschlagen, gewieft, versteht er es, die Furcht vor einem mühseligen Verfahren zu schüren, vor allem den Widerwillen einer sich dahin schleppenden Hauptverhandlung, dann ist das Gericht bereit, sich zu verständigen". "Gibt man zu, dass Absprachen deswegen vor allem den Wirtschaftskriminellen zugute kommen?" fragte Schmidt-Hieber, ihr Kollege. "Ist der Angeklagte hingegen unbemittelt und unbeholfen und nicht, oder nur dürftig, verteidigt, kann er mit Mühe die Verteidigergebühr für eine zweistündige Hauptverhandlung zusammenkratzen, dann trifft ihn das Ritual des Strafverfahrens mit seiner ganzen Kälte." Schmidt-Hieber fragt: "Ist die Strafjustiz dort am erbarmungslosesten, wo der Widerstand am geringsten ist?"

 

 

Das ist einer der Punkte, an denen Journalisten ganz wachsam sein müssen. Mit der stillen Konsensbildung ist es vorbei, wenn die Presse davon Wind bekommen hat. Wenn sie fragt, ob der Strafrechtsanspruch des Staates etwas mit der Höflichkeit und dem Respekt vor dem Angeklagten zu tun hat. Wenn sie fragt, ob es denn richtig ist, dass mancher gleicher als gleicher ist.

 

Es gibt Kooperationen, bei denen Journalisten die Grenzen überschreiten. Früher war es beim Stern üblich und passierte manchmal auch beim Spiegel, dass Journalisten Material, das sie journalistisch nicht aufarbeiten konnten, an Ermittler weiterreichten. Im Gegenzug wurden sie als erste über staatsanwaltliche Ermittlungen unterrichtet. Das gilt als Dienst am Recht, ist aber mit der journalistischen Unabhängigkeit unvereinbar. Noch einmal: Journalisten sind keine Hilfsbeamten und auch keine Wasserträger von Anwälten.

 

 

Staatsanwälten und Strafverteidigern ist das Denken in Lagerkategorien nicht fremd. Wir gegen die - fortwährend werden Schlachten geschlagen. Aber Freund-Feind-Denken führt in die Irre. Wie auch der Fall Helmut Kohl  zeigt. Ein Journalist, der seinen Auftrag ernst nimmt, ist weder Ihr Freund noch Ihr Feind. Er gehört weder zu den einen noch zu den anderen. Er ist hoffentlich, ein unabhängiger Journalist, denn er hat einen anderen Beruf und eine andere Aufgabe als Sie.

 

 

Es wird oft darüber diskutiert, wie eigentlich Prozessunterlagen in die Medien kommen. Da wird häufig gesagt sie kämen von Staatsanwälten. Wir alle wissen, dass Prozessunterlagen von unterschiedlichen Quellen kommen können. Staatsanwälte sind eine theoretische Quelle. Es gibt aber auch die Quelle der Verteidiger, die es aus eigennützigen Motiven machen, aber auch um ihre Mandanten zu unterstützen.

 

 

Ich kenne Anwälte, die verlangen für die Weitergabe von Ermittlungsakten, dass sie in den Artikeln als "Staranwalt" bezeichnet werden. Eitelkeit, Selbstdarstellungssucht können Motiv für solches Handeln sein. Es kann auch finanzielle Motive geben. Unvergessen, dass der Anwalt Rolf Bossi in einem Mordprozess bei seinem Plädoyer zunächst darauf verwies, er habe bislang nur Zahlungsversprechen und finanzielle Abtretungen, aber noch kein Honorar bekommen.

 

 

Da laufen viele Rituale ab. Aber es gibt auch Gegenden, da bestimmen Staatsanwälte, was in der Zeitung zu stehen hat.

 

 

Der Journalist, der sich mit der Justiz ernsthaft befasst, erlebt, dass eine Gesellschaft immer nur auf dem Weg zum Rechtsstaat ist. Auf dem Weg zu einem Ziel, das sie nie erreichen wird. Werner Sarstedt, lange Jahre Vorsitzender eines Strafsenats am Bundesgerichtshof, hat die Lage mal so beschrieben: "Die Rechtsgeschichte und die Rechtsvergleichung belehren uns, dass jede Verhaltensweise, die hier und heute bei Strafe verboten ist, irgendwo zu irgendeiner Zeit schon einmal bei Strafe geboten gewesen ist. Es ist nichts mit dem ewigen Recht, das jedem Gutwilligen bei hinreichender Anspannung seines Gewissens von oben herab offenbar würde". Oder, wie der französische Rechtsphilosoph Pascal einmal schrieb: "Weil man das Recht nicht finden konnte, hat man die Macht gefunden".

 

 

Herr Weyand, ich gratuliere Ihnen zu dieser Ehrung durch die Landespressekonferenz Saar ganz herzlich.

 

Noch ein Ratschlag: Passen Sie auf, dass sie nicht die Kerze sind, die an beiden Enden brennt.