Goldene Ente 2000

 

 

 

 

Laudatio von Otto Klinkhammer

 

 

 

 

Wir ehren heute mit unserem Medienpreis zwei Nachbarn aus einem uns manchmal immer noch fernen Land. Ihnen ist es gelungen, geographische Nähe in menschliche umzuwandeln. Noch haben wir hier nichts Gleiches, was wir so zurückgeben könnten und sinnen nach, an was das wohl liegen mag. Persönlichkeiten sind die Handlungsseiten der Kultur, sagen Soziologen. Für die Tatsachenseite des kulturellen Lebens stehe die Institution. Diese These hat hier ihren Beweis: Unsere Preisträger sind Laurent Brunner und seine Mitarbeiterin Sylvie Hamard.

 

 

Das Forbacher Kulturzentrum "Le Carreau" ist die Einrichtung, die sie mit ihren Persönlichkeiten geprägt haben. Er als Direktor, sie als Kommunikationschefin, wenn Sie so wollen, unser guter Geist von Gegenüber. Frau Hamard und Herr Brunner nötigen uns Respekt ab.

 

 

Seit Jahren ist "Le Carreau" erfolgreich. Jeder sieht es, jeder weiß es, doch das Konzept gibt sich so urfranzösisch, dass es für Deutschland schwer übersetzbar ist. Der Prototyp aus Forbach als Blaupause? Wäre das eine Lösung? Oder verletzt sie den Stolz unserer Administration? Ansatze zum Modell hatten wir im saarländischen Merzig. Doch die Bedenkenträger bildeten bald eine eigene Fraktion. So lasst uns denn das französische Beispiel küren und feiern. Bis es ein deutsches gibt, bedarf es des Wandels oder des Wechsels. Ich habe unseren Preisträgern Autoritäten zur Seite gestellt. Nicht etwa, um sie zu stützen. Mitnichten! Der Stützen bedürfen sie lediglich in ihrem Umfeld, doch die sind offensichtlich stabil. Hoffentlich auch in der Zukunft. Vielleicht macht wirklich "ein edles Beispiel die schweren Taten leicht". Die beiden Autoritäten, von denen ich spreche, sind Berthold Brecht und Pierre Bourdieu. Sie machen das Forbacher Duo sichtbarer und - Entschuldigung - mir meine Laudatio leichter. Sie erläutern, wo ich suche, sie helfen, wo ich tapse.

 

 

Brecht und Bourdieu sind meine Beigesellen. Der Erste erklärt sich von selbst, so, wie im guten Deutsch ein Satz sich selbst erklären soll, Der Zweite, Professor am College de France, ist der wohl bekannteste Soziologe in unserem Nachbarland, doch er drangt sich nicht so schnell auf.Meterweise schreibt er Bücher, gibt aufsehenerregende Interviews, hämmert in Zeitungskolumnen. Aber: seltsam oder absurd,  er mag Journalisten nicht und er sagt es, und er schreibt es! Doch auch sie mögen ihn nicht - und sie sagen es und sie schreiben es. Doch, liebe Kolleginnen und Kollegen, wer ihn aus unserer Branche liest, wird sehr nachdenklich, krümmt sich mitunter schmerzlich, verärgert, gar zornig. da die Kritik so unaufgeregt analytisch daher kommt. So fällt die Gegenwehr unter die Beweisnot, doch wie meist in solchen Fällen, lesen Bourdieu nur jene, die einsichtig sind und lernwillig, weniger jene, die ihn eigentlich lesen müssten. Und da es so ist, bleibt alles beim Alten. In Frankreich und in Deutschland. Doch, verehrte Anwesende, unter den vielen positiven Sichtweisen finde ich zwei, die zwar zu unserem Anlass passen, aber in ihrer Konsequenz angreifbar sind. Heute Abend können wir Contra sagen durch das Beispiel. In seinem Buch "Contre-feux" schreibt Bourdieu einen Kernsatz, den der Verleger sogar für den Klappentext auserkoren hat. Er heißt: "Dieses Europa hat keine andere Utopie als jene, die sich zwangsläufig aus den Unternehmensbilanzen und Buchführungen ergibt, kein positives Projekt, nur das der Shareholders, denen es nur noch um maximale Renditen geht, denen Bildung und Kultur nur noch als Produktionsfaktor in den Sinn kommen. Es ist höchste Zeit, die Voraussetzungen für den kollektiven Entwurf einer sozialen Utopie zu schaffen.

 

 

Wenn das hier Zitierte im Hinblick auf die Kultur, die heute im Zentrum unserer Überlegungen steht, stimmen würde, wäre unsere Preishergabe ein Lügengespinst. So aber ist sie ein Beispiel aus der französischen Provinz für die Zentrale. Ein Modul des kulturellen Lebens sprengt Grenzen, an der Nahtstelle zweier Kulturen wird für die Gesamtgemeinschaft Europas ein Gegenfeuer gelegt, das den Pessimismus anbrennt. Doch noch eines in diesem Zusammenhang: In den "verborgenen Mechanismen der Macht" meint Bourdieu, Preisverleihungen hätten keinen anderen Gegenwert als den einer gewissen Publizität. Genau! Wir wollen mit unserer Preisverleihung diese Publizität, damit in unserer wenig kulturell geprägten Zeit dieses Forbacher Beispiel herausgestellt wird. Die Kenntnisnahme der Öffentlichkeit unserer Begründung ist für uns ein Gegenwert sui generis! Deshalb lasst uns gerade hier die soziale Utopie träumen, lasst uns an die mögliche Verschränkung von zwei Kulturen glauben, aber lasst uns auch Eigenheiten beibehalten, die Globalisierung nötigt uns gerade genug Mischmasch auf. Als unsere beiden Kulturen nebeneinander  herliefen, hatten wir unsere düsterste Zeit im Grenzland. Sie brachten Tod und Verderben und statt Entwicklung Niedergang. Wir brauchen für die friedliche Lebens-, Kultur- und Wirtschaftsentwicklung zwischen Ostfrankreich, Luxemburg und dem Saarland die kulturelle Annäherung für die Zukunftssicherung. Für die Menschen wird sie das Lebenselixier sein. Die Kultur ist das Dach, alles weitere findet in den Einzelzimmern statt. Nur so ist das gemeinsame Haus im Grenzraum bewohnbar - und gemütlich. Und nun bin ich Ihnen auch noch den zweiten geistigen Helfer für den heutigen Abend schuldig: Bert Brecht ist es. Ich spreche über die Preisträger Hamard und Brunner, kenne sie aber persönlich viel zu wenig, um mir ein Urteil über die Motivation ihres Tuns zu erlauben. Allerdings stehe ich begeistert vor dem Produkt ihres Schaffens und ihrem Ideenreichtum, das aber ist noch zu wenig Zugang. Bert Brecht schreibt in seinen "Notizen zur Philosophie": "Der Mensch macht sich von den Dingen, mit denen er in Berührung kommt und auskommen muss, Bilder, kleine Modelle, die ihm verraten, wie sie funktionieren. Solche Bildnisse macht er sich auch von Menschen." So war das auch hier. Vielleicht deckt sich dann meine Intuition mit der Wirklichkeit. Es würde bei mir Gleichklang und Zufriedenheit auslösen. Doch so weit ist es noch nicht. Denn wir hatten hier schon Gleichk1ang, doch dieser Gleichklang war erzwungen. Es war die Utopie des friedlichen Zusammenlebens unter Zwang, es war die Utopie einer Einheit unter der Knute von Politik. Eine Verzahnung im Grenzland gab es schon mehrmals, doch sie stand unter national-egoistischen Vorzeichen. Da war die Symbiose der Minette mit unserer Kohle, sie machte uns einheitstrunken, flunkerte uns vor, Unternehmensabhängigkeit schweiße Menschen zusammen - Broterwerb als Liebesersatz! Doch es stand ein böses Kriegsziel dahinter. Dann gab es den Umkehrschluss. Als Kriegsfolge kam der Griff unter die Erde~ die Kohle im Warndt war die Entschädigungszahlung, doch auch hier lag ein politisches Ziel, diesmal aus der anderen Richtung. Dann aber kam Robert Schumann, der luxemburger Franzose mit einer nicht gerade angenehmen deutschen Vergangenheit. Da ging zum ersten Mal jemand mit Kopf und Herz ans Werk, da mischte sich zum ersten Mal Geschichtsbewusstsein, nüchternes Wirtschaftsdenken mit der Kulturerkenntnis, erworben in drei Lebensabschnitten. Der Kulturwert aus drei unterschiedlichen Gesellschaften war nach meinem Verständnis der Grund des Erfolgs. Und wenn Sie alle nur ein wenig zurückdenken an die Preisvergabe an Luxemburg-Premier Jean-Claude Juncker, finden Sie auch hier Ähnliches, auch hier ist es der Ausgangspunkt für den Erfolg.

 

 

Die anderen Versuche mussten scheitern, ihnen fehlte die Kulturverschränkung. Sie kennen die Slogans aus den Geschichtsbüchern: Solange über 200 Jahre die Lothringer unter der preussisch-deutschen Vorherrschaft sagten, "nie darüber sprechen, immer daran denken", die Saarländer nach der Mutterrolle Deutschlands riefen, kann man sich nicht aufeinander zu bewegen. Die Rückbesinnung auf die gemeinsamen Werte im Grenzraum war ein politischer Marathonlauf, doch das Ziel war erst erreicht, als sich die Kultur von den Auflagen der Politik löste, als sie geschickt mit pars pro toto agierte, das Teilchen für das Ganze setzte, so, wie es unsere Preisträger betreiben. In ganz anderem Zusammenhang, aber genau treffend hat Laurent Brunner einmal gesagt: "Wir haben das Recht, die Realität vor der eigenen Haustür zu sehen." Und wenn er dann diese Realität in Kunst umsetzt über den Trick der Verfremdung, mit einem ironischen Unterton, dann ist das ein geschickter Schachzug zum Erfolg. Ich denke hierbei an das Projekt mit dem Arbeitslosen Osinski. Da ist das Problem vor unserer gemeinsamen Haustür. Bei den Einen haben Sie mit einem Kunstgriff positive Aufmerksamkeit hervorgerufen, bei den weniger tief Denkenden den Protest, den Sie ertragen müssen. Trösten Sie sich mit dem chinesischen Spruch: "Es gibt keine Vemunftsgründe für die Dummheit!"

 

 

Sie jedenfalls haben mit ihrem Projekt "Abenteuer Arbeit" eine Station auf dem Weg zur sozialen Utopie erreicht und aufgezeigt, dass es zum Ziel nicht nur die radikale Methode gibt, sondern auch eine künstlerische Variante hin zu einer besseren Gesellschaft. Einen anderen Ansatz in Ihrer Tätigkeit sehe ich weniger positiv, doch kenne ich das Motiv Ihres Handelns nicht. In Saarlouis haben Sie mit hoher Anerkennung französisches Theater geboten und wegen mangelnder Ressonanz aufgegeben. Verständlich von der Kostenseite her. Sie sollten sich ein Beispiel an ihrem Landsmann, dem Festungsbauer Vauban, nehmen. Jahrelang hat er im 17. Jahrhundert die Saarlouiser Sümpfe trockengelegt bis er festen Boden für seine Fundamente fand. Dann schließlich vollendete sich, was heute noch sichtbar ist. Hätten Sie nicht länger ausharren müssen? Dem Saarlouiser Oberbürgermeister Fontaine wurde die Stirn weiß vor Zorn. Sie haben sein Lieblingsprojekt gekappt, unsere Francophonen enttäuscht, unseren vielen Frankophilen den Mut genommen. Machen Sie bitte einen neuen Ansatz. Für viele ist "Le Carreau" ein Hoffnungsträger. Er hat die Grenze humaner werden lassen. Verehrte Preisträger, meine Damen und Herren. Der Kreis schließt sich. Meine erwähnten Beigenossen haben das Wort: Bert Brecht sagt: "Nicht nur das Bildnis eines Menschen muss geändert werden, wenn der Mensch sich ändert, sondern auch der Mensch kann geändert werden, wenn man ihm ein gutes Bildnis vorhält." Das haben Sie, Frau Hamard, und Sie, Herr Brunner, getan. Und Pierre Bourdieu meint: "Ich wünsche mir, dass die Schriftsteller, die Künstler, die Philosophen und die Wissenschaftler sich in allen Bereichen des öffentlichen Lebens, in denen sie kompetent sind, Gehör verschaffen können. Es wäre gut, wenn die Schöpferischen ihre Funktion des Dienstes an der Öffentlichkeit und bisweilen am öffentlichen Wohl wahrnehmen könnten." Sie, Herr Brunner, und Sie, Frau Hamard, haben dies getan.

 

 

Wir sind auf der Suche nach einer Utopie für den deutsch-französischen Grenzraum. Unsere Preisträger haben uns unserem Traum näher gebracht. Wie schön wäre es, wenn es bereits eine Liebeserklärung an die Wirklichkeit wäre.

 

 

Ihnen beiden sage ich Dank und Glückwunsch zu unserem Medienpreis des Jahres 2000.