Goldene Ente 2008

Rede zur Verleihung der Goldenen Ente 2008 der Landespressekonferenz Saar

Es ist das schwierige Los des Zweitredners, dass all das, was man sich an schönen Pointen ausgedacht hat, vom ersten Redner leider schon gesagt wurde. Als ich für heute eine Laudatio zusagte, habe ich nicht geahnt, dass sie, lieber Herr Kuderna, das in so perfekter Weise schon machen würden. Allerdings ist der heutige Tag für mich sowieso eine ziemliche Katastrophe. Ich hatte gedacht, dass Herr Leonardy einen großen saarländischen Kulturpreis bekäme. Den Titel habe ich erst heute Morgen erfahren. Und daraufhin dachte ich, das könnte so etwas sein wie die saure Zitrone. Vielleicht sollte ich besser gar nicht hierher kommen. Journalisten, die eine Ente vergeben, da kann man ja eigentlich nur Ungemach wittern.

Aber die Saarländer sind ja immer etwas anders als die anderen im „Reich“ und insofern bin ich dann voller Freude hierher gekommen. Weil ich weiß, wenn Saarländer einladen, dann gibt es noch sehr viele andere schöne Dinge. Aber dennoch, was genau wird hier eigentlich ausgezeichnet mit einem Preis, der „Goldene Ente“ heißt? Es geht ja ganz offensichtlich weder um einen französischen Kleinwagen noch um ein China-Restaurant, sondern um die Landespressekonferenz. Und hier scheint eine Ente, eine Falschmeldung also, zunächst doch deplatziert. Definieren wir also die Ente neu. Als geradezu unglaublich erscheinende Meldung. Dass heute ein begnadeter Pianist, ein inspirierender Lehrer, ein kreativer Festivalintendant, ein verantwortungsvoller Öffentlichkeitsarbeiter, ein furchtloser Sponsorensucher und ein veritabler Erfinder geehrt wird und dass sich alle diese Eigenschaften in der Person von Professor Leonardy vereinen. Diese Nachricht ist nun wirklich eine Goldene Ente wert.

Die Ente, meine sehr verehrten Damen und Herren hat ja manche erbitterte Gegner. Sie kann tauchen, schwimmen, laufen und fliegen, aber nichts davon wirklich überzeugend. Kann ein derartig vielseitig begabter Mensch, Künstler und Manager auch ein ernst zu nehmender Pianist sein? Ich kenne die Antwort, da ich Robert Leonardy als einen virtuosen und ausdrucksstarken Pianisten erlebt und immer ein wenig beneidet habe. Und wenn ich ihn gehört habe, so kann ich ihnen sagen, dass der nächste Tag mit 10 Stunden üben gefüllt war, weil ich mir dachte, das muss ich auch noch schaffen. Ich kenne deinen Sinn für Melodie, Struktur, Dramatik und Dynamik und ich bewundere das alles ganz tief.

Joachim Kaiser, der letzte Mohikaner des deutschen Musikfeuilletons, hat es einmal sehr schön ausgedrückt. „Ach, wenn es doch mehr Künstler gäbe, die so neugierig, wagemutig, unternehmungslustig, vielseitig wären wie Robert Leonardy und außerdem so fabelhaft Klavier spielen könnten“. In diesen Kaiserseufzer stimme ich freudig ein.

Ich habe übrigens irgendwo gelesen, dass dein Lehrer Griem dich ab deinem 14. Lebensjahr unterrichtete. Seine ersten Eindrücke von dir fasste er in dem denkwürdigen Wort „Verwildertes Ausnahmetalent“ zusammen. Ich hoffe, diese Meldung war keine bleierne Ente. Auch du, lieber Robert Leonardy, hast lange als Professor in Saarbrücken gewirkt. So manches Ausnahmetalent konntest du, um im Bild zu bleiben, kultivieren. Erstaunlicherweise verbindest du auch in dieser Lebensaufgabe, die ja nur ein Teil deiner vielfältigen Aktivitäten ist, scheinbar Gegensätzliches. Konzentriert und aufmerksam seist du im Unterricht, so erzählen es deine Schüler. Du hast eine sehr genaue große Vorstellung von der großen Linie und von der Darstellung des Details. Aber du schreibst sie nicht vor, sondern du stellst sie zur Debatte. Du bringst dein musikalisches Verständnis, deine Hilfen bei technischen Schwierigkeiten ein, um die Interpretation deines Schülers zur Wirkung kommen zu lassen. Und du vermittelst, dass Herz, Kopf und Finger zusammen wirken müssen, um die Seele der Musik zu finden. Du erweiterst den Horizont deiner Schüler und bringst sie damit dazu, ihre eigenen Zugang, ihren eigenen Ausdruck zu finden und zu entfalten. Übrigens ein Zeichen für einen großen Lehrer, der nicht versucht, kleine Kopien von sich herzustellen, sondern die eigene Persönlichkeit, die Autonomie und die Individualität zu fördern. Und du sagst deinen Schülern „Spielt, was in den Noten steht“. Diesen Ratschlag empfinde auch ich immer noch als aktuell und inspirierend. „Spielt, was in den Noten steht“ ist letztlich der Appell an jeden Künstler, sich immer wieder in Frage zu stellen, sich dem Werk immer wieder neu und unvoreingenommen anzunähern.

Robert Leonardy nahm die Verantwortung für seine Schülerinnen und Schüler so ernst, dass er sie über den Abschluss des Studiums hinaus dachte. Wo sollen junge Musiker einmal auftreten, lautete die Frage. Wie wär’s mit einem neuen Festival, vielleicht im Raum Saar-Lothringen-Luxemburg. So hieß deine Antwort. Die Musikfestspiele Saar waren entstanden. Schon im Gründungsjahr 1989 war dieses Festival
alles andere als ein hässliches Entlein. Inzwischen hat es sich zum prächtigen Schwan entwickelt. Dank einer stimmigen Konzeption und Programmatik, dank großartiger Künstler, dank vieler neuer und revolutionärer Ideen. Deshalb ist nicht nur das Saarland, sondern die gesamte Musikwelt dankbar, dass du auch weiterhin die Musikfestspiele Saar leitest. Getreu deinem eigenen anspruchsvollen Motto: „Ich will keine Festspielschickeria, die Werke spielt, die ich das ganze Jahr über schon höre“. Das ist Öffentlichkeitsarbeit, die ich als ehrlich und unkonventionell empfinde und die deshalb anspricht. Als früherer Leiter eines regionalen Musikfestivals weiß ich um die Schwierigkeit, kulturelle Veranstaltungen in dieser Größenordnung auch finanziell zu sichern. Robert Leonardys Ruf, Sponsoren zu finden und zu überzeugen, ist geradezu legendär. Vielleicht kennen sie schon diese Anekdote. Er spricht mit einem traditionsreichen deutschen Automobilhersteller über ein großzügiges Sponsoring. Sein Gesprächspartner sagt schließlich zu und fügt dann hinzu: „Und wenn sie wollen, können sie auch bei uns als Autoverkäufer anfangen.“

Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie viele Musiker für eine Erfindung ein Patent innehaben. Sie haben es eben gerade gehört, Robert Leonardy ist einer von ihnen. Er ist beurkundeter Urheber der Aktion „Klassik statt Klingel“. Keine Sorge, es geht nicht darum, klassische Melodien als Handy-Klingeltöne anzubieten. Robert Leonardy ersetzt den Schulgong durch bekannte Themen und Motive aus klassischen Werken. Dass man damit Erfolg haben kann, das habe ich selber einmal erlebt mit dem bedeutenden Herrn Körber. Die Körberstiftung ist einer der Förderer Helmut Schmidts. Er hat einmal seine Belegschaft in eine Oper in Hamburg eingeladen und er buchte – so war Körber – die ganze Oper und es kamen insgesamt drei Mitarbeiter der Hauningwerke in die Oper. Er veränderte die Sirene und plötzlich hörte man aus der Fledermaus bekannte Themen. Ein dreiviertel Jahr später war die Hamburger Staatsopfer ausverkauft mit seinen eigenen Leuten.

Also die Begründung klingt überzeugend: Nur wer klassische Musik kennt und regelmäßig hört, so Robert Leonardys Idee, kann sich mit ihr beschäftigen. Die überwiegende Mehrzahl der Jugendlichen hört täglich in der Schule den Gong und damit künftig klassische Musik. Ich darf gestehen, dass ich hier noch einige Fragen, lieber Robert Leonardy, habe. Sie betreffen vor allem die Auswahl der Stücke. Wenn bei einer, sagen wir, Mathematik-Klausur Beethovens schicksalhafte fünfte Musik erklingt, kann das sensible Gemüter schon erschüttern. Oder Wagners Walkürenritt. Ob das die angemessene Einleitung des Sozialkunde-Unterrichts ist oder vielleicht sogar des Sexualkundeunterrichts, das darf ebenfalls bezweifelt werden. Die Rezeption der Motive dürfte generell somit tief gefärbt sein. Die Melodie zur großen Pause dürfte wesentlich wohlwollender aufgenommen werden als der Ruf zur siebten Sinfonie. Dennoch melde ich schon einmal vorsorglich das Patent für klassische Handy-Download-Klingeltöne an.

Ich komme zum Ende meiner Ausführungen. Lieber Robert Leonardy, ich wünsche Dir Genugtuung und Freude mit der Goldenen Ente. Uns wünsche ich auch weiterhin einen Robert Leonardy, der ausgetretene Wege verlässt und dadurch neue Einblicke und Einsichten ermöglicht. Und ich möchte schließen mit einem Wort von Robert Schumann, ich meine damit nicht ihren früheren Außenminister, Herr Generalkonsul, der sagte, wichtig ist, dass du Spuren hinterlässt und nicht nur Staub. Du hast das bewiesen, ich gratuliere dir von ganzem Herzen und danke Ihnen für ihre Aufmerksamkeit.