Goldene Ente 2004

Laudatio auf Rolf Linsler von Herbert Mai

Lieber Rolf Linsler,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

die „Goldene Ente“: „irgendwie ist es eine verunglückte Metapher – nehme ich einmal an“ sagte Heiner Geißler anlässlich der Laudatio der „Goldenen Ente 2003“. Selbst in der offiziellen Verlautbarung der Landespressekonferenz steht zu lesen, dass nicht mehr exakt zu ermitteln sei, warum die Ente als Wappentier für diesen Preis gewählt wurde.

Als Gewerkschafter, der den Sachen immer auf den Grund geht, der nie Verhalten und Dinge einfach so akzeptiert in unserer Gesellschaft oder zur Kenntnis nimmt, versuche ich eine eigene Erklärung. Was könnte die „Goldene Ente“ bedeuten?

Das deutsche Wörterbuch von Jakob und Wilhelm Grimm hilft dabei vielleicht weiter. Dort steht zu lesen, dass die Ente schnattert und plaudert, aber ohne sie können die „Zeitungszwickeln“ (Zeitungsschreiber) nicht viel wissen und schreiben. Die Ente wird aber auch mit dem Schlaraffenland in Verbindung gebracht, „wo sie gebroten ins maul einfliegt“.

Es gibt natürlich auch die Zeitungsente „eine in Zeitungen verbreitete, gleichsam fortschwimmende, wieder auftauchende fabel oder lüge“. Früher hieß sie allerdings „Blaue Ente“. So Luther: „So kömpts doch endlich dahin, das an stat das evangelii und seiner auslegung widerumb von blaw enten gepredigt wird“. Oder auch:

„Es sein allsamen nur blaw enten, das die pfaffen hon erdacht“.

Blau steht für nebelhaft, sich etwas Blaues vormachen, blauen Dunst machen. Das kennen wir noch heute.

Golden dagegen ist der Inbegriff des Edlen, des Kostbaren, des Wertvollen beziehungsweise des Leuchtenden.

Wir alle kennen doch die Begriffe vom Goldenen Zeitalter, Handwerk, das Goldenen Boden hat, Goldene Krone oder auch den Goldenen Himmel. Die Verbindung von Gold und Ente, der Goldenen Ente, könnte also ein Hinweis auf einen wertvollen Partner der Presse sein, der wahrhaftig und edel sowie in guter Absicht mit Verstand informiert, die Presse nicht benutzt, sondern Nutzen für die Zeitungsschreiber bietet, ihnen also quasi gebratene Enten liefert, die nur gegessen und verdaut werden müssen.

Die „Goldene Ente“ ist also nach meiner kleinen Recherche keine verunglückte Metapher, sondern eine für den diesjährigen Preisträger passende Auszeichnung!

Rolf Linsler hatte - so meine Erfahrung als ÖTV-Vorsitzender in den neunziger Jahren - hervorragenden Kontakt zu Journalisten. Gespräche, die wir damals gemeinsam führten, haben mir gezeigt, dass er nicht nur alle Journalisten kennt, sondern auch eine hohe Kenntnis darüber hat, was im Lande, hier im Saarland bei den Gewerkschaften, in der Politik und in den Betrieben los ist. Er konnte die regionalen Probleme nahtlos in Zusammenhang mit zentralen Vorgängen auf Bundesebene bringen.

Rolf Linsler kennt Trends und Entwicklungen, analysiert, interpretiert und das auch noch in einer verständlichen Darstellung und Sprache. Sicher keine Stärke von Gewerkschaftsführern. Aber eine besondere Fähigkeit von Rolf Linsler!

Seit 1987 haben wir sehr intensiv zusammengearbeitet. Besonders das Schicksalsjahr 2000 ist mir noch gut in Erinnerung. Im November 2000 erfolgte auf dem Gewerkschaftstag in Leipzig die entscheidende Weichenstellung für ver.di. Allerdings erst nach meinem Abgang als Gewerkschaftsvorsitzender der ÖTV. Die ÖTV beschloss danach, doch in ver.di aufzugehen und im Zuge dieser Entscheidungen wurde Rolf Linsler Landesleiter von ver.di im Landesbezirk Saar.

In diesem für Rolf Linsler, für die damalige ÖTV und für die Gewerkschaftsbewegung wichtigem Jahr 2000 fiel mir ein Aufsatz von Ludwig Harig – im Saarland kein Unbekannter – „Reise ans Ende der Welt“ in die Hand. Harig beschrieb seine Reise unter anderem so:

„Wo wir auch hinkamen in diesem Frühjahr und Sommer 2000 - ob in den Westerwald, ob in die Toskana, ob nach Dresden, nach Niederbayern oder in den Schwetzinger Schlosspark - überall trat sich dieser Widerspruch zwischen dem Wahrgenommenen und dem Eingebildeten, dem Begrenzten und dem Unbegrenzten auf. Überall verblüffte uns der Gegensatz von Natur und Kunst, verwirrte uns das rätselhafte Verhältnis zwischen Sein und Schein. Überall klaffte der Riss, der die Welt in Wirkliches und Erfundenes spaltete und wenn diese doppelsinnige Welt in ihrer Zerrissenheit besonders wunderlich und närrisch, besonders komisch erschien, konnten wir sogar das Lachen nicht unterdrücken“.

Eine hervorragende Metapher auf Gewerkschaften und sicher auch auf Politik.

Werden die Probleme und deren Ursachen in unserer Gesellschaft von den Gewerkschaften wirklich wahrgenommen und finden aufgrund dieser Wahrnehmung adäquate und angemessene Antworten statt?

Hohe Arbeitslosigkeit, Globalisierung, Verflüchtigung der Strukturen in den Betrieben und in der Gesellschaft, demographischer Wandel, Ökonomisierung des öffentlichen Dienstes, Liberalisierung von Dienstleistungen, zunehmender Wettbewerb und Preisdruck kommen uns als Begriffe leicht über die Lippen.

Aber viel zu lange haben wir uns eingebildet, die Auswirkungen können wir einfach ignorieren oder mit genügender Kampfkraft und Stärke verhindern: Sind wir nur stark genug, könnten wir an alte Zeiten des Wachstums der sechziger Jahre und an den Kampf um Verteilungsspielräume anknüpfen!

„Schaffung von Binnennachfrage führt zu Arbeitsplätzen, zum Abbau der Arbeitslosigkeit und bringt Schwung in die Wirtschaft“, so die aktuellen Aussagen einiger Gewerkschaftsführer.

Aber selbst wenn dies gelänge, kämen die alten Zeiten nicht mehr zurück. Gewerkschaften müssen sich den neuen Fragen und den aktuellen Problemen stellen. Sie müssen die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, ob wir das wollen oder nicht, wahrnehmen. In diesem Rahmen gilt es, wirksam Interessen zu vertreten und die Tatsache, dass Gewerkschaften notwendig sind, tagtäglich im Betrieb zu beweisen. Das ist viel komplexer und schwieriger, als nur plakative Anklage zu führen.

Rolf Linsler – und das zeichnet ihn aus - ist nicht in irgendeine Schublade zu stecken. Pragmatisch untersucht er, was die Interessen sind und wie sie erfolgreich vertreten werden können. Er denkt und handelt ergebnisorientiert! Er beweist, dass tragfähige Lösungen
– auch nach Konflikten, wenn sie noch so scharf ausgetragen werden - nur mit der anderen Seite zu erzielen sind. Sensibel nimmt er wahr, wann Lösungen akzeptabel sind und wann eine Chance besteht, weiter – und das ist das entscheidende - erfolgreich zu kämpfen.

Er hat sich nicht von Einbildungen leiten lassen und recht früh erkannt - als andere in den Gewerkschaften noch auf Distanz zur Presse gegangen sind - dass auch die von der Presse
gemachte öffentliche Meinung wichtig ist für den Erfolg, den Gewerkschaften erzielen können.

Legendär ist in diesem Zusammenhang seine Auseinandersetzung mit Oskar Lafontaine als Saarländischer Ministerpräsident. Die Zeiten der Sparmaßnahmen im öffentlichen Dienst, die Entscheidungen und Auffassung über die Beschäftigten von Oskar hatten Rolf – obwohl aktives SPD-Mitglied – in Kampfesmut versetzt. Er organisierte eine Demonstration und
kündigte der Presse an, Oskar würde auftreten und sprachen. Oskar trat auf und redete. Aber auf der Demonstration traten zwei Oskars an, persönlich und als über-dimensionaler Pappkopf, der Napoleon imitierte (modelliert von Kollegen des Theaters)! Die öffentliche Aufmerksamkeit und die direkte Wirkung auf Oskar waren enorm.

Spätestens ab da war auch der SPD und auch dem damaligen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine klar: Sie müssen Rolf Linsler ernst nehmen in seiner Unabhängigkeit und in seinem Talent, politische Sachverhalte und Konflikte mit Geschick und Klugheit aber auch mit Witz anzugehen und zu bestehen.

Harig spricht vom Widerspruch zwischen dem Begrenzten und Unbegrenzten.

Begrenzt waren sicherlich die Möglichkeiten für die Zukunft der fünf Gewerkschaften, die 1998 begonnen hatten, ver.di aus der Taufe zu heben. Sie hatten erkannt, wenn auch nach schwierigen Vordiskussionen, nur gemeinsam, unter Einschluss der damals unabhängigen DAG, konnte aus dieser Begrenztheit herausgetreten werden.

Gefährlich wurde es, als einige dabei in der Phantasie das Pendel ganz zurückschlagen wollten und damit gleich an eine unbegrenzte Macht von Gewerkschaften dachten. Rolf Linsler hat die Idee, den Plan und das Ziel zu ver.di nachhaltig unterstützt. Immer mit den Füßen auf dem Boden und die auftauchenden Probleme der fünf untereinander nicht wegwischend.

Seit 1999 und insbesondere im Jahre 2000 hatte er allerdings zu kämpfen, den Landesbezirk Saar zu erhalten. Zunächst intern in der ÖTV und dann gemeinsam mit der ÖTV gegenüber den vier anderen Partnern. Den Landesbezirk Saar sollte es nicht geben. Saarland sollte – so Teile der ÖTV und alle anderen Gewerkschaften – zu Rheinland-Pfalz geschlagen werden.

Wir alle wissen heute, diesen Kampf hat er erfolgreich ausgefochten. Ihm war klar, dass die Mitglieder auch von Gewerkschaften Nähe spüren wollen, Nähe zu ihren Gremien, zu ihren Funktionären und insbesondere zu ihrer Führung. Das betrifft den Betrieb, den Ort, aber insbesondere auch die Region. Die vielen Ehrenamtlichen, die in allen Verbänden, so auch in den Gewerkschaften, die Arbeit tragen, die Freizeit opfern, Spaß und Freude an ihrer Tätigkeit haben wollen, halten nichts von technokratisch und scheineffizient ausgerichteten großen Einheiten. Außerdem, immer ein Hauptargument von Rolf Linsler in der damaligen Auseinandersetzung, hat das Saarland kulturelle und historische Eigenheiten, quasi eine eigene Identität.

Gerade in der Phase der Veränderung und des Zusammenschlusses von fünf Gewerkschaften, wo ja viele Ängste hatten, spielte die Verbundenheit der Mitglieder eine wichtige, identitätsstiftende Rolle. Auch hier hat es Rolf Linsler vermocht - über eine offene und faire Information an die Presse – die öffentliche Meinung mit einzubringen in die Diskussionen und Klärungsprozesse innerhalb der ÖTV und von ver.di. Intern hat er – mit meiner Unterstützung – wie ein Löwe gekämpft! Am Ende hat niemand mehr gewagt, auch die schärfsten Kritiker eines Landesbezirks Saar, diesen Landesbezirk in Frage zu stellen.

Gerade Gewerkschaften bewegen sich oft in einem Widerspruch zwischen dem – wie es Harig ausdrückt - „rätselhaften Verhältnis“ von Sein und Schein. Wird das Sein der Gewerkschaft aktuell wahrgenommen? Haben sie Macht und Einfluss? Können sie wichtige politische Entscheidungen mitgestalten?

Die Zeit schreibt in ihrer Ausgabe von November 2004: „für die Gewerkschaften war es „das Jahr der Demontage“. Die Arbeitnehmer würden eine epochale Entmachtung erleben. Trifft diese Aussage zu oder die Selbsteinschätzung der Gewerkschaften, dass durch die Demonstrationen gegen die Agenda 2010 oder durch die zentralen Demonstrationen und Kundgebungen Anfang April für ein europäisches Sozialmodell die Gewerkschaften an Kraft und Stärke gewonnen hätten?! Oder ist dies nur Schein?

Sicher kann die Frage nicht schwarz/weiß beantwortet werden. Es gibt auch keine endgültige Wahrheit in der Beantwortung zwischen Sein und Schein. Was aber notwendig wäre, wäre eine realistische Auseinandersetzung innerhalb der Gewerkschaften über ihre
Möglichkeiten und Chancen, politische Fragen mit zu beeinflussen oder sogar wieder zu gestalten.

Wer politische Positionen - gerade für die Arbeitnehmer -durchsetzen will, braucht zu deren Umsetzung Unterstützer, Bündnispartner – auch in der Politik - und eine öffentliche positive Meinung.

Wer sich ins Abseits drängen lässt, hat weniger Einfluss. Dies zeigt die Geschichte und dies zeigen auch aktuelle Vorgänge, so zum Beispiel die Auseinandersetzung um die Arbeitszeit. Rolf Linsler kennt diesen Zusammenhang, handelt danach und hat im Saarland – auch unter den jetzigen politischen Mehrheiten – Einfluss. Ohne ihn läuft wenig, mit ihm einiges!

Klafft am Ende auch in den Gewerkschaften der Riss, der die Welt in Wirkliches und Erfundenes spaltet? Ich denke, der Riss geht durch viele Lebensbereiche. Politische Kultur hat dieser Riss aktuell bei dem einen oder anderen Arbeitgeber und einigen Unternehmensvorständen.

Sie erfinden immer neue Probleme und Hindernisse, die einer positiven Entwicklung im Wege stehen. Und wenn sie nicht da sind, werden sie erfunden, um sie dann zur Wirklichkeit werden zu lassen. Mal sind es die Sozialabgaben, dann die Steuer, die Bürokratie oder die
Mitbestimmung. Ein anderes Mal die Regierung oder die Gewerkschaften.

Mutlosigkeit und Krisenszenarien werden gepflegt und der Standort Deutschland in Grund und Boden geredet. Bei aller Kritik – hier und da sicherlich berechtigte Kritik – es gibt keinen Grund, die wirkliche Situation in Deutschland in die Nähe des Abgrunds zu rücken! Aber einige Unternehmer sehen dadurch ihre Chance, rücksichtslos ihre Interessen durchzusetzen.

Der ehemalige Bundespräsident Herzog hat es in seiner Rede „Aufbruch ins 21. Jahrhundert“ von April 1997 auf den Punkt gebracht: „Vorteilssuche des Einzelnen zu Lasten der Gemeinschaft ist geradezu ein Volkssport geworden“.

Wer Arbeitsplätze streicht, nur um höhere Gewinnmargen zu erzielen, wer entlässt, um den Aktienkurs zu pflegen, wer einseitig die Arbeitszeit erhöht, weil es gerade passt oder die Produktion verlagert, um die Dividende erhöhen zu können, sieht die gesellschaftliche Wirklichkeit nicht, das heißt er will sie nicht sehen! Er handelt nur im Interesse weniger.

Die Wirklichkeit verlangt nach einem gemeinsamen Handeln aller großen gesellschaftlichen Kräfte. Arbeitgeber sind dabei genauso gefordert wie Gewerkschaften, die Regierungen und auch die Presse und Medien.

Die Vision gemeinsamer Ziele, zum Beispiel Förderung von Schule und Bildung, Reduzierung der Arbeitslosigkeit, Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen, ausreichende öffentliche Infrastruktur und Einrichtungen will ich nicht aufgeben. Die Idee des Bündnisses für
Arbeit, Bildung, Wettbewerbsfähigkeit und Innovation könnte mit Mut, Aufbruchstimmung und Überzeugung aller Beteiligten erste erfolgreiche Schritte einleiten. Hier sind besonders Arbeitgeber und Gewerkschaften gefordert.

Dazu bedarf es Führungspersönlichkeiten, die Zuversicht und Lebensfreude ausstrahlen, die auch mal über ihre Schatten springen können, die Verantwortung für sich, ihre Gruppe und die Gesellschaft übernehmen, die tolerant und fest in ihrem Willen sind, die trotz Mut zum Kämpfen die Balance der Kräfte nicht aus den Augen verlieren.

Führungspersönlichkeiten, die sich auch der öffentlichen Diskussion stellen und bereit sind, die Öffentlichkeit zu informieren und teilhaben zu lassen, auch über unterschiedliche Positionen der eigenen Organisation.

Kurz und bündig: Persönlichkeiten wie Rolf Linsler sind gefragt. Die Goldene Ente geht an den Richtigen!