Goldene Ente 2001

Laudatio von Prof. Benno Rech

 

 

 

 

Nachdem ich den Auftrag zu dieser Rede bekommen hatte, war ich im Keller, wo ich in alten Notenbüchern geschnust habe. Ich wollte wissen, ob ich für Deine Begabung einen Blick hatte, oder ob ich mir nach Deinem politischen Aufstieg nur eingebildet habe, dass Du schon als Schüler in meinen Augen ein vielversprechender kluger Kerl warst. Ich stieg erleichtert die Kellertreppe hoch. denn ich hatte Dich in drei Lehrerkalendern gefunden, und immer konntest Du mit 19 von 20 möglichen Punkten aufwarten. Das war die beste Note, die ich vor der Zeit der Milde, also vor der Noteninflation, geschrieben habe.

 

 

Ich war Dein Religionslehrer in den frühen stürmischen siebziger Jahren. Religion war damals das Fach, in dem die freiesten, heftigsten Diskussionen ausgetragen wurden. Ich hatte als Mitherausgeber von imprimatur, übrigens der ältesten noch existierenden kirchenkritischen Zeitschrift, meinen Spaß an Dir, einem selbstbewussten, ausdauernd diskutierenden, aufmüpfigen Burschen. Peter war Leithammel der Klasse, kein konservativer, eindeutig, wie es mir damals erschien, ein linker. Womöglich war das nicht einmal eine Täuschung. Bei mir festigt sich der Eindruck, er ist als CDU'ler ein munterer Progressiver geblieben, denn es kommt mir vor, als sei er mit kaum einer Entscheidung endgültig zufrieden, er bleibt ausdauernd auf der Suche nach der noch besseren Lösung. Du agierst in schöpferischer Regsamkeit, leistest Dir keine selbstgenügsame Besserwisserei, und Du bekennst Farbe gegenüber der Schwesterpartei. Das gefällt mir, zumal die Bayern am anderen Ende der Republik hausen; dahinter kommt schon Österreich. Mit einer Fußballmetapher lieferst Du selber den Schlüssel zu einem authentischen Verständnis Deines politischen Handelns: Ich spiele in der Fußball-Mannschaft links Außen, der in die Mitte zieht und dabei rechte Verteidiger zum Schwitzen bringt. Jeder Kundige wird in Dir den verkappten Mittelstürmer sehen.

 

 

Ich habe, lieber Peter, in letzter Zeit Deine Aktionen mit Aufmerksamkeit beobachtet. Welcher andere Politiker getraut sich, so selbstbewusst frei, so ungeschützt mutig in den Medien aufzutreten, wohlwissend, dass die Journalisten darauf versessen sind, einen Politiker wie der Mittelstürmer den Tormann auf dem falschen Fuß zu erwischen. Trotz lauernder Gefahren bleibst Du spontan, erfrischend unkonventionell, und, von der Sprechweise bis zum Habitus, vor der ganzen Nation erkennbar saarländisch. Du trittst in die Öffentlichkeit wie ein Fußballspieler auf den Platz, der den Zuschauern ein spannendes, ein unterhaltsames Spiel  offerieren will. Dazu gehört, dass kein Gegner unterschätzt wird, der Fußballer wie der Politiker muss, wenn's gilt, mit höchster Motivation agieren, denn beide wollen ja gewinnen, aber auch ihr Publikum verzaubern. Das erreicht der eine wie der andere nicht durch bornierten Kampf, dazu braucht man Zähigkeit, Behändigkeit, Witz und obendrein ein spezifisches Talent: Geistesgegenwart.

 

 

Einer, der nicht aus Bubach stammt -Bubach, war übrigens vor der Einrichtung von Omnibuslinien der Heimatbahnhof von Thalexweiler, wo ich herkomme- der begreift es kaum, dass ein Sport treibender Ministerpräsident nicht Golfer oder wenigstens Tennisspieler ist, also Disziplinen wählt, in denen er als einzelner glänzen kann. Du treibst den Mannschaftssport der einfachen Leute. Beim Fußball kann man nur im Zusammenspiel mit der Mannschaft Erfolg haben. Der Tennisspieler spielt für sich, der Fußballer spielt mit den Kameraden. Das Fußballspielen auf Dorf- oder auch Parteiebene ist keine pomadige Angelegenheit. Fußball dieserart ist ein herzhafter, Einsatz heischender Sport, der den ganzen Mann fordert, denn schließlich spielt man gegen die Opposition oder gegen das rivalisierende Nachbardorf. Was war das für ein Triumph, wenn Thalexweiler in Bubach ein Entscheidungsspiel in der Meisterschaftsrunde gewonnen hatte! Wie sind dann die Humpen gekreist, die Fäuste geflogen, und gelegentlich war dann ein Gesicht gar von einem Hieb mit dem Stuhlbein gezeichnet! Der Fußballer kennt kein Zieren, er kämpft bis zum Umfallen. Ist es nicht eine beruhigende Vorstellung, dass wir einen kernigen Fußballer in das Amt des Ministerpräsidenten gewählt haben! Und es darf nicht außer Betracht bleiben, unser Ministerpräsident ist also beim FC Union, der von links außen kommende Mittelstürmer, der rechte Verteidiger zum Schwitzen bringt. In Bubach war er noch zum simplen Läufer degradiert.

 

 

Mittelstürmer, das ist die Position des Spielmachers, der ideenreichsten, der durchsetzungsfähigsten Spielerpersönlichkeit in der ganzen Mannschaft. Er zieht die Bälle auf sich, er verteilt sie, gibt sein Letztes, den Mitspielern den Torschuss zu ermöglichen, d.h. der Mannschaft den Erfolg zu verschaffen. Ein Mittelstürmer greift an und erfährt in jedem Moment, da soll sich niemand Illusionen machen, dass dies andere zu verhindern suchen, Gerade dann, wenn er in bester Position ist, ziehen sie gar die Notbremse mit einem Tritt von hinten in die Haxen. Das alles kann aber das  Streben des wahren Stürmers nicht hemmen, es stachelt ihn nur an, vornehmlich Verteidiger von rechts noch geschickter zu umtrippeln, sie auszutricksen. Sein Tortrieb, sein Instinkt und auch seine Eleganz sind ihm mit den Genen gegeben. Und selbst der überspielte Verteidiger kann ihm die Anerkennung nicht verweigern. Ich wage die Wertung: Wer das Zeug zu einem solchen Mittelstürmer hat, der bringt Veranlagungen mit, auch eine politische Mannschaft  zum Erfolg zu führen. Die Umfragen und Abstimmungen belegen es, dass nicht nur ich das so meine. Wir haben einen Ministerpräsidenten, den wir auf dem Rasen und fast mit noch größerem Beifall in der politischen Arena  agieren sehen. Und Peter Müller, das möchte ich herausstreichen, war sich nie zu schade, auch in der zweiten Mannschaft zu spielen, d.h. er steht zu seiner Sache, selbst wenn es einmal nicht zum Besten läuft. Ein Fußball spielender Politiker offenbart sein Naturell bei weitem nicht so unverstellt in Staatsgeschäften wie auf dem Sportplatz.

 

 

Grass braucht Danzig, Böll Köln, Harig Sulzbach, Kühn Hasborn und Peter Müller Bubach. Wer Bubacher ist, der ist unverwechselbar, seine  vom Vereinsleben mitbestimmte Eigenheit verschwindet nicht so leicht wie die der sogenannten Weltläufigen, eigentlich aber Heimatlosen. Du warst im Schachclub, im Musikverein hast Du die Klarinette und das Saxophon gespielt und beim Fest der Vereine, dem Fuchsball, standest Du hinter dem Tresen. Der Bubacher ist bodenständig, er ist saarländisch.

 

 

In der Doppelnatur von lummerem Saarländer und kühlem Juristen kommst Du bei den Wählern in der ganzen Republik an. Thilo Schneider, ehemals Bayerischer Rundfunk, er gehörte zu der Handvoll ARD-Kommentatoren, die am häufigsten in den Tagesthemen zu sehen waren, er ist SPD-Mitglied, andererseits stammt auch er wie ich aus Thalexweiler, also dieser Dir heimatverbundene, auf Dich neugierige Thilo Schneider jagte mir mit seiner Ankündigung einen Schrecken ein: "Den werdet Ihr nicht lange in Saarbrücken halten." Das hat mich getroffen und seither beschäftigt, auch beim Abfassen dieser kleinen Laudatio, mit der ich Dir Gutes tun wollte. Das heißt, ich muss Dich warnen vor Berlin.

 

 

Zwischen Bubachern und Berlinern besteht, was man ohne langes Nachsinnen allein vom Klang der Namen her hören kann, ein fundamentaler Unterschied. In dem wohlklingenden Ort Bubach wohnen natürlich auch ebensolche wohltuenden Menschen, in dem scharftönenden Berlin hausen eher spitzeckige Leute. Wie gemütlich kommt die Stimme vom "u" zum "a", in Bubach. Dagegen Berlin mit seinem tonlosen "e", dem aggressiven "i" und dem "schnarrenden "r" in der Mitte. Wie sollst Du als Mensch, der mit sich im Einklang, "eisch" sagt, in dem zackigen Milieu, wo ich "icke" heißt, leben? Unter lauter Berlinern kann sich der gemütlichere Saarländer kaum wohlfühlen.

 

 

Wir Saarländer und besonders unsere Journalisten müssen allzeit auf der Hut sein vor den überheblichen Journalisten aus dem Reich, die uns beispielsweise im Spiegel mit einem herausfordernden Schmähsatz heruntergemacht haben: Wo Deutschland am frömmsten und am ärmsten ist, sind seine Journalisten am lahmsten und am zahmsten - an der Saar. Das wegwerfende Gesamturteil lautet: zurückgebliebener Zwergstaat. (In Paranthese: Wir sollten alles dransetzen, dieser Geringschätzung mit kulturpolitischen Entscheidungen nicht Vorschub zu leisten.) Weil die saarländischen Politiker der siebziger Jahre vor gerechter Empörung sprachlos waren, trat der sprachgewaltige Jean Paul von der Saar (ebenfalls Spiegel) auf und verkündete Die saarländische Freude für alle, die der deutschen Sprache mächtig waren. Er tat es so suggestiv, dass seitdem der saarländische Mensch, der ja die saarländische Freude in wunderbar heiterem Zusammenleben genießt, zur Sehnsucht, zum Idol aller Deutschen  geworden ist. Lieber Peter, auch für Deinen bundesweiten Aufstieg hat unser Poet in gewisser Weise den Weg bereitet.

 

 

Was ist denn nun die saarländische Freude? Kein Wahlsieg kann sie begründen, auch nicht die anschließende stetig wachsende Zustimmung zur Amtsführung, geht sie selbst bis tief in die SPD-Wählerschaft hinein. Erfolge machen auch anderswo froh. Die saarländische Freude ist mehr. Sie macht den Kern unseres Wesens aus. Für einen Pfälzer zum Beispiel reicht schon ein Sieg des FCK zu ausgelassener Freude. Hören wir, was der Poet selber auf unsere Frage antwortet: Nein, die Freude ist eine hart errungene Eigenschaft des fröhlichen Menschen.  Der Inbegriff der Freude ist nämlich die Erleichterung, die sich immer dann einstellt, wenn man wie Hans im Glück das Schwere gegen ein Leichteres tauscht. Indem man sich große Probleme energisch vom Hals schafft, dürfen kleinere vorerst getrost bestehen bleiben. Zur wirklich harten Errungenschaft wird die Freude erst recht in der Politik. Da weiß keiner, wo genau die Front verläuft. Mein Freund Alois sagte mir vor der letzten Bundestagswahl: "Ich bin zwar CDU-Mitglied, aber wählen werd ich die SPD."

 

 

Alois ist "nicht steuerbar", das schätze ich an ihm. "Steuerbare" Leute mögen auf zweitrangigen politischen Posten nützlich sein, in der Kunst richten sie immer Schaden an. Funktionäre, die gegen die im Grundgesetz verbriefte Freiheit der Künste, steuerbare Sachwalter fordern, beeinträchtigen das Ansehen des Landes und legen  auch dem Ministerpräsidenten, der Vorsitzender der Kulturstiftung der Länder werden soll, wenn auch unbeabsichtigt, Steine in den Weg dorthin.

 

 

Ludwig Harig also hat den saarländischen Menschen erdichtet, und Du, lieber Peter, bist seine politische Inkarnation. So ist der saarländische Mensch wie die saarländische Freude als Vorstellung und Wirklichkeit vorhanden. Inzwischen werden die Vorzüge des saarländischen Menschen allerorten anerkannt. Die Reichsdeutschen  sind ja auch nicht blind, auch sie haben an Dir bemerkt, wie der lummere Saarländer leicht und locker durchs Leben geht, wie er das Lebenkönnen und  das Lebenlassen versteht. Sie ahnen es: Von Dir ließe sich die Republik verändern, denn man spürt, hier ist einer, der kann Spannungen besänftigen, Gegensätze harmonisieren oder sie unausgetragen schöpferisch nutzen für eine glücklichere Zukunft. Ihre Vision: Am Ende Deiner Kanzlerschaft würden die Bayern nicht mehr auf die Preußen losdreschen, sondern deren schneidiges Auftreten vor dem Spiegel üben, und im Gegenzug würden die Preußen sich zum Ausgehen in Trachtenlook schmeißen, in Lederhosen den Watzmann erkraxeln und vom Gipfel ins Tal jodeln. Bei solchen Aussichten kann man es sich leicht vorstellen, dass die ganze Republik eine unwiderstehliche Sehnsucht nach dem saarländischen Kanzler hegt, und man kann den Tag voraussehen, an dem Berlin ruft. Es mag für Dich, Lieber Peter, eine Ehre sein, aber geh nicht hin, widersteh! Sonst überfällt Dich in der scharfen Berliner Luft die Heimwehkrankheit mit all ihren von Ludwig Harig festgestellten Torturen: Sie ist nicht bloßes Verlangen, uns trifft, wie der Autor beobachtet hat, ein wahrhaftiges Weh, Heimweh nämlich nach  dehemm, wo unsere Freunde sind, wo man nicht unachtsam aneinander vorbeiläuft, sondern den Entgegenkommenden mit gurre Morjen und gurren Owend herzlicher grüßt als sonst wo, damit anzeigt, dass man füreinander gute Wünsche hegt. Es kann der saarländische Mensch in der Fremde überhaupt nicht von seiner Heimwehkrankheit genesen. Zur Warnung schildert Ludwig den Krankheitsverlauf bei seinem Bruder Hermann, dem Anstreichermeister, als er für drei Wochen im lieblichen Kärnten war: er sagte am dritten Tag "Vater" zu mir, am vierten stieg er auf die Leiter und wollte dem Hotelier sein Gasthausschild neu anmalen, am fünften bekam er Fieber und am sechsten probierte er aus, ob seine Koffer noch in den Kofferraum unseres Autos passten. Unter lauter Preußen, im abweisenden Häusermeer von Berlin, würde der Verlauf nur noch heftiger sein. Ich rufe Dir also zu: "Bleibe im Land und regiere uns redlich!"

 

 

Wenn Journalisten einen besonders informationsfreudigen Politiker wegen der offenen und unkomplizierten Zusammenarbeit ehren, dann wirft das Licht auf beide. Es gibt gegenseitige Achtung, Wertschätzung, Fairness (die cum grano salis, denn der Journalist braucht gelegentlich mal etwas Gepfeffertes). Ein souveräner Politiker hält Kritik aus, ist nicht zimperlich. Ein mit Komplexen beladener dagegen ist schnell gereizt, zugeknöpft, lässst sich auf keinen offenen Disput ein, ist also für Journalisten nervig, unergiebig und bekäme darum nie diesen schönen Preis. Wie ich Dich damals mit der besten Note, so bedenkt Dich,  Lieber Peter, heute die Landespressekonferenz mit der höchsten Auszeichnung, die sie zu vergeben hat, der Goldenen Ente. Nachdem Du den Preis bekommen hast, kannst Du Dich nur kurz zurücklehnen, an den Himmel schauen und selig-zufrieden träumen, aber danach wieder aufgepasst, denn Journalisten sind von ihrem Geschäft her nicht gutmütig, eher vorwitzig und auf Skandalfutter aus.